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Inszenierung Theater mit Kopfhörern in Magdeburg

Bequeme Schuhe und wetterfeste Kleidung sind nicht üblich für einen Theaterbesuch in Magdeburg, werden für „Utop 89“ aber empfohlen.

Von Grit Warnat 26.09.2019, 01:01

Magdeburg l „Utop 89“ wird am 5. Oktober uraufgeführt. Ein Drehbuch vorab gab es nicht. Text und Konzept mussten erst erarbeitet werden. Beides stammt von Meret Kiderlen und Kim Willems, die als Theaterkollektiv seit 2014 Performances und Stadtraum­inszenierungen realisieren. Sie haben für Theater in Dresden, Wiesbaden, Frankfurt am Main gearbeitet – und jetzt erstmals für das Theater Magdeburg. Schon im Januar waren die beiden für die Inszenierung „Utop 89 ... und wer kümmert sich jetzt um die Fische?“ in der Stadt, haben seitdem Menschen interviewt, Räume erkundet, Geschichte und Geschichten aufgeschrieben.

Alles habe damals nach Berlin geschaut, wo die Mauer mitten in der Stadt fiel, und nach Leipzig, wo die montäglichen Demonstrationszüge von Woche zu Woche größer wurden, sagt Kim Willems. Magdeburg habe da überregional weniger im Rampenlicht gestanden, aber auch hier hätten sich Menschen ihre Räume genommen, für Freiheit demonstriert und von neuen gesellschaftlichen und persönlichen Lebensentwürfen geträumt. Auch Angst gehabt, ob alles friedlich bleiben würde. Was beherrscht die Erinnerungen von Magdeburgern wie Nadja Gröschner, Gabriele Herbst, David Begrich und den ehemaligen Domprediger Giselher Quast?

Etliche Zeitzeugen hat das Duo interviewt – vom Denkmalpfleger über Pfarrer bis hin zu Theatermitarbeitern und Punks – und deren Erleben einer sich rasant ändernden Welt aufgeschrieben und verdichtet. Der Text steht, er wurde eingesprochen und kann nun über Kopfhörer den jeweils 16 Teilnehmern der Walk-Acts erzählt werden – passend zu markanten Orten zwischen Dom, MDR-Funkhaus und heutigem Arbeitsamt (einstiger Stasi-Sitz von Magdeburg). Drei der Protagonisten werden zudem live bei szenischen Aktionen unterwegs dabeisein.

Wenn die beiden Regisseure über ihre Stadtrauminszenierung reden, dann wird schnell klar, dass sie nicht beim Erinnern an den Wendeherbst stehenbleiben wollen. „Es geht um Geschichten des Aufbruchs und was davon blieb. Wir wollen kein Live-Museum, sondern in die Gegenwart schauen und der Frage nachgehen, wie Menschen heute Räume einnehmen, um ihre Forderungen kundzutun“, sagt Willems. Und er erzählt von den Teilnehmern von Fridays for Future, die demonstriert haben, als das Duo Gespräche führte.

Willems sagt, er und seine Regie-Partnerin wollen die Erfahrung von damals ausgraben und damit zeigen, dass man etwas bewegen könne – auch heute. Wie steht es um unsere Mitbestimmung? Und was eigentlich ist geblieben von all den Freiräumen?

Kiderlen und Willems, 36 und 33 Jahre alt, und allein schon des Alters wegen noch zu jung für das Live-Erleben des Weltgeschichte schreibenden Umbruchs, setzen mit Zeitzeugen ihren Blick auf das Wende-Jahr um. Die von vielen verspürte Ost-West-Problematik sei für sie kein Thema. Sie arbeiten in Ost und West, Kiderlen studierte zudem in Leipzig.

Man darf gespannt sein, was beide den Magdeburgern entlockt haben und wie sie den revolutionären Herbst 1989 ins Heute tragen. Wer den Spaziergang mitmacht, soll auch die Antwort auf die Frage erhalten, wer sich denn jetzt um die Fische kümmert.

Bis 30. November 2019 sind 15 Spaziergänge geplant.