Der gebürtige Magdeburger Menahem Pressler gibt zwei Konzerte im Opernhaus "Je tiefer du gehst, desto mehr findest du"
Der begnadete Pianist Menahem Pressler ist wieder zu Gast in seiner Geburtsstadt Magdeburg und wird heute und morgen im ausverkauften Opernhaus auftreten. Wenn er spielt, wird dem Zuhörer das Herz weit. Wenn man sich mit ihm unterhält, ist es ebenso.
Magdeburg l Menahem Pressler hat eine sanfte, warme Stimme. Sie korrespondiert mit seinen Augen, mit seiner ganzen Ausstrahlung. Pressler verkörpert eine Weisheit und Warmherzigkeit, die man keineswegs typisch nennen kann für einen Musikstar wie ihn. Er ist trotz seiner Erfolge in aller Welt ein bescheidener, aber auch mit 88 Jahren hart arbeitender Mensch geblieben.
Pressler lebt für die Musik. Er liebt sie, er lebt sie, er genießt sie. Die Musik war es auch, die ihn einst rettete, um Verfolgung, Demütigung, Flucht, die Ermordung von Verwandten überhaupt ertragen zu können. Der Sohn eines jüdischen Textilhändlers musste 1939 vor den Nazis aus seiner Heimatstadt Magdeburg fliehen. Drei Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkriegs war er nach Israel gegangen. Seinen in Deutschland mit sechs Jahren begonnenen Klavierunterricht perfektionierte er dort - anfangs bei einem Lehrer, der aus Leipzig kam. Später zog es ihn weiter in die USA.
"Ich denke, es ist ein Geschenk , das ich vom Himmel habe."
Mit dem Gewinn des renommierten Claude-Debussy-Wettbewerbes in San Francisco begann seine Karriere. 1955 gründete er das so erfolgreiche wie legendäre Ensemble "Beaux Arts Trio". Das machte Pressler berühmt.
Ja, Magdeburg war unglaublich schmerzhaft in seinen Erinnerungen verankert, sagt Pressler. 2001 kam er nach seiner Flucht zum ersten Mal wieder in die Stadt seiner Kindheit zurück, seitdem gastierte er mehrmals in seiner alten Heimat. Heute ist der Klaviervirtuose Ehrenbürger Magdeburgs, an vier Familienangehörige, die den Holocaust nicht überlebt haben, erinnern in der Stadt Stolpersteine. Pressler fühlt Dankbarkeit der Stadt, dem Oberbürgermeister gegenüber.
"Meine Verbindung zu Deutschland ist sehr stark", sagt er. "Die Sprache ist meine Sprache." Masur hätte zu ihm gesagt, dass seine Art, deutsch zu sprechen, vergessen sei. Pressler spricht ein Deutsch ohne jeglichen Dialekt, ohne Slang. Er liebt die deutsche Literatur, die deutsche Musik. "Ich bin diese Kultur. Sie drückt mich aus."
Auch deshalb gab Pressler immer wieder Konzerte in Deutschland. Er ist hier nach wie vor ein gefragter Pianist, spielt vor ausverkauften Häusern. Dafür ist er in der ganzen Welt unterwegs, reiste jetzt aus Frankreich an, wo er nach erfolgreichen Konzerten schon wieder engagiert wurde.
Rastlosigkeit? Keine Spur davon. Pressler spricht ruhig, bedächtig, geistig sehr rege. Auf die Frage, wie er sich fit hält, legt sich ein Lächeln auf sein Gesicht. "Genau kann ich das nicht beantworten. Ich denke, es ist ein Geschenk, das ich vom Himmel habe. Wissen Sie, wenn ich Musik mache, fühle ich mich nicht älter als 50, wenn ich unterrichte, fühle ich mich nicht älter als 40, aber wenn ich Treppen rauf- und runtergehe, dann fühle ich mein Alter."
Der Name Pressler steht für Emotionalität beim Spiel. "Sie ist das Wichtigste, weil man die Gefühle, die man in sich trägt, zum Ausdruck bringen kann. Und das endet nie. Das ist das Schöne an der Musik. Je tiefer du gehst, desto mehr findest du."
Pressler hat viel gefunden - und das ohne große Publicity, wie er sagt. Sein "Beaux Art Trio", das fünf Jahrzehnte durch die Welt tourte, hatte nie einen "Press Agent". "Wir haben immer gespielt und gearbeitet, wir haben viel von uns abverlangt, ja, wir sind tiefer gegangen." 60 CDs sind entstanden, die Konzerte hingegen sind schwer zu zählen. 6000 werden es gewesen sein. Pressler war immer mit dabei, betont er, selbst mit gebrochenen Rippen und Schmerzen und wenig Schlaf bei zehn Konzerten in Australien. "Mal hat mein Geiger nicht gespielt, mal mein Cellist nicht, aus welchem Grund auch immer. Aber es gab nie ein Konzert ohne mich."
Wenn Pressler über Musik spricht, hört man ein Schwärmen in seiner Stimme. Er redet in der ihm gewohnten Ruhe, aber mit Leidenschaft von dieser Tiefe, in der man Schönheit und Traurigkeit und Glücklichsein findet. "Das muss man finden, davon muss man ein Teil werden", sagt er, wenn er auf junge, erfolgreiche Pianisten angesprochen wird. "Ich sehe ihre Stärken, ich sehe ihre Schwächen", sagt Pressler, dem auch Lang Lang vorgespielt hatte.
"Ich bin nie zufrieden. Ich habe immer weiter gesucht. Und ich bin weiter auf der Suche."
Pressler ist immer noch mit Freude und Begeisterung Lehrmeister. Kein einfacher, wie er zugibt. Denn von seinen Schülern verlange er das, was er selbst von sich auch immer verlangt habe: Volle Hingabe. "Ich bin nie zufrieden. Ich habe immer weiter gesucht. Und ich bin weiter auf der Suche." Der Suchende ist Perfektionist.
Die Art des Klavierspielens, sagt Pressler, habe sich verändert, verbessert. Das sei wie in der Leichtathletik, in der heute Traumzeiten gelaufen werden, die früher niemand auch nur erahnt hätte. Es gab Klavierstücke, an die traute man sich nicht, heute gehören sie beim Nachwuchs zum Repertoire. "Aber die Athletik ist nur die eine Seite. Sie ist nicht der Geist, der diese Musik zum Leben bringt. Wenn Sie wirklich in ein gutes Konzert gehen, dann kommen Sie verändert wieder raus. Das ist nicht sehr oft, oder?" Und bei seinem Publikum? "Mir wird das immer wieder bestätigt. Das ist ein schönes Gefühl."
Wenn der 88-Jährige heute und morgen im Opernhaus - begleitet von der Magdeburgischen Philharmonie - auf die Bühne geht, sich an sein Instrument setzt und spielen wird, hängt besondere Emotionalität im Theaterraum.
Die spürt das Publikum, aber auch der Maestro: "Du sitzt in diesem Theater und hast ein Publikum, das dir zuhört, das mit dir spricht. Das geht sehr tief. Dann habe ich das Gefühl, ich bin wieder nach Hause zurückgekommen."
Am 27. September wird Menahem Pressler die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Er lächelt, als er das sagt. "Das ist eine Freude für mich und eine große Ehre."