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Puccinis Oper "Turandot" am Anhaltischen Theater Dessau Kampf der Geschlechter und ein Kampf um die Macht

27.09.2010, 04:18

Von Helmut Rohm

Dessau-Roßlau. Die neue Dessauer Spielzeit leitete Regisseurin Andrea Moses mit Giacomo Puccinis Oper "Turandot" ein, einer Neueinstudierung ihrer Inszenierung am Nationaltheater Weimar. Am Sonnabend gab es eine stürmisch gefeierte Premiere.

Kraftvoll und intensiv, aus dem Vollen schöpfend, beginnt die Anhaltische Philharmonie unter GMD Antony Hermus die Aufführung.

Eine riesig große, mehretagige, aus Stahlgerüsten errichtete Arena (Bühne und Kostüme Christian Wiehle), an ein modernes Fernsehstudio oder eine Freilichtbühne erinnernd, füllt die gewaltige Dessauer Bühne. Nichts von exotisch fernöstlicher Nostalgie. Andrea Moses nimmt den Zuschauer mit Ironie und Spielfreude mit ins Heute. Und es passt. Weil die Probleme, so wie sie in Puccinis kaiserlichem China herrschten, noch immer, teils noch drastischer aktuell sind.

Dominantes Schwarz-Weiß in der Kostümgestaltung und schlichtes Grau für die wenigen "Außenseiter" symbolisieren Machtkonstellationen.

Dass die Prinzessin Turandot nur demjenigen ihr Ja-Wort gibt, der drei schwierige Rätsel zu lösen vermag, ist eine vordergründige Mache, ein Vorwand. Diese nutzt die eiskalte und grausame Turandot, um ihre Macht zu demonstrieren, ihre todbringende Macht sogar abstoßend genüsslich auszuleben. Denn, wer sich bewirbt, die drei Rätsel nicht löst - wird getötet. Späte Rache für das Schicksal einer Vorfahrin soll genommen werden.

Drei Fragen bis zum Tod, ohne Joker. Kürzlich war es ein persischer Prinz, der durch das Messer Turandots selbst in einer öffentlich inszenierten Show in "Turandot‘s Riddle Club" sein Leben lassen musste. Das Volk tobt, huldigt der Prinzessin, lässt sich, für den Zuschauer erschreckend und nachdenkenswert zugleich, regelrecht manipulieren. Gänsehaut stellt sich ein. Und versnobte junge Männer spielen mit dem Kopf des gemeuchelten Prinzen Golf ...

Den Tod vor Augen, vielfach gewarnt, verfällt der nächste Bewerber, ein zunächst unbekannter Prinz (Kalaf), der Schönheit Turandots. Er glaubt an seine eigene Stärke, an die Macht der Liebe. Der personifizierte Geschlechterkampf nimmt, einem Thriller gleich, packend dramatisch inszeniert, seinen Lauf.

Iordanka Derilova als Turandot begeistert mit fantastischer Stimme und facettenreichem Spiel in fast übermenschlichen Ausbrüchen, nicht minder eindrucksvoll in den emotional nahegehenden Momenten. Kalaf wird durch den ausdrucksstarken und stimmgewaltigen Tenor Sergey Drobyshevskiy zu einem sympathischen "Siegertyp". Wunderschön und einfühlsam "lebt", mit bezaubernder Stimme und glaubhaftem Spiel, Angelina Ruzzafante die Sklavin Liù, die aus Liebe zu Kalaf den Freitod wählt, statt ihn zu verraten. Als letztendlich gefährliche aktive Mitläufer, von Andrea Moses als ein wenig skurril und erheiternd gezeichnet, agieren Wiard Witholt, Angus Wood und David Ameln als Ping, Pang und Pong. Pavel Shmulevich als Timur und Klaus Gerber als Turandots Vater Altoum sind ebenfalls überzeugend.

Seine große Partie hat der Chor (Leitung Helmut Sonne) mit viel Engagement bravourös bewältigt.

Antony Hermus bleibt mit der Anhaltischen Philharmonie dem furiosen Auftakt treu. Sie bringen die ungemein vielseitige kraftvolle und fantasiereiche Musik mit fernöstlichem Anklang stets auf den Punkt in bester Harmonie mit der Handlung.

Das Premierenpublikum feiert alle Akteure wie auch das Inszenierungsteam mit frenetischem Beifall.