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Kinofilm Schwochow verfilmt "Deutschstunde"

"Deutschstunde" zählt zu den wichtigsten Romanen im Nachkriegsdeutschland. Filmemacher Christian Schwochow bringt den Stoff nun ins Kino.

26.09.2019, 23:01

Berlin (dpa) l Bettwäsche im Wind. Neben kaum einem dieser düsteren Häuser hinterm Deich fehlen flatternde Laken, wehender weißer Stoff. Diese Bilder stehen in Christian Schwochows Verfilmung von "Deutschstunde" für einen grotesken Gegensatz. Denn hier im Norden, am Rande des Wattenmeers, könnte es so friedlich sein. Doch der Krieg dringt bis hierhin vor. Dafür sorgen die Menschen in den Häusern mit ihrer Pflichterfüllung für das eigentlich so ferne Berlin.

Die gleichnamige Vorlage von Siegfried Lenz (1926-2014) ist neben der "Blechtrommel" von Günter Grass wohl einer der wichtigsten Romane aus der deutschen Nachkriegszeit. Das Buch machte Lenz international bekannt, wurde nach dem Erscheinen 1968 in zwanzig Sprachen übersetzt und 2,2 Millionen Mal verkauft. Für viele Schüler im Westen war es Pflichtlektüre im Deutschunterricht.

Regisseur Schwochow verdichtet den Stoff auf das Schicksal eines Jungen zwischen zwei gegensätzlichen Vaterfiguren. Siggi Jepsen (Tom Gronau) blickt aus einer Jugendstrafanstalt zurück auf seine Zeit als Kind (Levi Eisenblätter) mit seinem Vater (Ulrich Noethen), einem pflichtversessenen Dorfpolizisten, der einen "brauchbaren Menschen" aus seinem Sohn machen will, was auch heißt: "brauchbare Menschen müssen sich fügen".

Einen Hof weiter lebt ein berühmter Künstler (Tobias Moretti). Die beiden Männer sind seit Kindheit befreundet, der Maler hat dem Polizisten damals sogar das Leben gerettet. Doch die Nazis mögen seine Kunst nicht. "Die glauben, dass Malen gefährlich ist", sagt er dem Jungen. Der Künstler wehrt sich gegen ein Malverbot der Nazis, das der Polizist überbringt und dann überwachen muss.

Siggi wird zwischen den Männern aufgerieben. Er steigert sich in den Wahn, die Bilder auch nach Kriegsende noch vor seinem Vater sichern zu müssen. "Es ist eine große Tragik, dass er diese Obsession für die Bilder, für das Retten der Kunst entwickelt und dann am Ende von beiden dafür ans Messer geliefert wird", sagt Schwochow im Interview der Deutschen Presse-Agentur über seinen Siggi.

Die Rolle des Malers Max Ludwig Nansen hat eine berühmte Entsprechung: Lenz orientierte sich an Hans Emil Hansen, der als Emil Nolde (1867-1956) weltberühmt gewordenen Ikone des Expressionismus. Nolde lebte hinterm Deich in Seebüll an der dänischen Grenze, seine Arbeiten wurden von den Nazis ebenfalls als entartet verfemt. Auch er unterlag einem Berufsverbot. Allerdings durfte Nolde weiter malen. Und, ungleich wichtiger: Er war Antisemit, Rassist und glühender Nazi. Nach dem Krieg reduzierte Nolde seine Geschichte auf die des verfolgten Künstlers, noch bis vor wenigen Monaten hingen seine Arbeiten unkritisiert auch im Kanzleramt.

Schwochow wollte mit seiner Verfilmung allerdings keine Nolde-Geschichte erzählen. "Mir ging es um etwas ganz anderes: um das Schützen von Kunst, das Verbrennen von Kunst, die Rettung von Kunst", sagt er. "Wenn wir Nolde konkretisiert hätten, wäre das eine Geschichte von einem Kind zwischen zwei Nazis." Der Krieg steckt bei Schwochow nun in den Figuren. Nur einmal lässt der Regisseur das Martialische der Schlachten in Form eines Tieffliegers sehr konkret Gestalt annehmen. Im Film funktioniert die Bedrohung stattdessen über Metaphern. Möwen werden zu Angreifern gegen die Menschen im Watt, ein dräuendes Gewitter kann in endloser Schutzlosigkeit der Natur rasch apokalyptische Formen annehmen. Der Tod begleitet auch Siggi: Er sammelt und sortiert eine beeindruckende Reihe von Tierkadavern.

Die Enge dieser Welt wird an vielen Stellen subtil im Film übersetzt. So weist das Kinderzimmer Siggis den gleichen Grundriss auf wie die Arrestzelle, in der er Jahre später seine Lebensgeschichte schreiben wird. Als Kind hat Siggi auch ein Versteck in einem verlassenen Gebäude. Niemand will ihm sagen, wo die Bewohner hin sind – an keiner Stelle wird von Juden gesprochen. Im Film lässt Schwochow den spielenden Siggi einen kleinen Hinweis auf das fürchterliche Schicksal finden: "Es gibt eine kleine gelbe Scheibe, die für mich wie ein Zacken aus dem Davidstern ist."