1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Klassenkampf war gestern

Ästhetisch beeindruckende Premiere von Brechts "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" am Magdeburger Schauspielhaus Klassenkampf war gestern

Von Gisela Begrich 02.12.2013, 01:14

Magdeburg. Nachdem der Vorhang gefallen ist, braucht das Publikum einen Augenblick, ehe es fast mit einem nachdenklichen Gestus beginnt zu applaudieren. Aber dann erhält die ästhetisch beeindruckende Premiere "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" viel Beifall.

Schier endlos entschließt sich Johanna am Schluss des Abends, wieder und wieder auf den Steg, der in die Stuhlreihen hineinragt, zurückzukehren, um den Menschen eindringlich ihre Erfahrungen mitzuteilen, die ihr bei jedem versuchten Abgang mehr werden in der Seele. Ihre Botschaften eskalieren im "Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht". Die Fleischfabrikanten nehmen dies beiläufig zur Kenntnis. Silvio Hildebrandt darf dies Beiläufige besonders prägnant zelebrieren. Die verzweifelte Johanna wird wie ein Schlagerstar beklatscht und von der Bühne komplimentiert. Klassenkampf war gestern.

Seltsame Fremdheit dominiert

Lena Sophie Vix gestaltet die Johanna mit schöner Naivität, tiefer Wahrhaftigkeit und großer Überzeugungskraft. Die Zuschauer bejahen ihre Darstellung und die ihres zentralen Kontrahenten Mauler deutlich. David Emig spielt den Fleischkönig Mauler unaufgeregt und mit blasierter moralischer Etikette des Gutmenschen, aber stets mit dem Bewusstsein, dass er am längeren Hebel sitzt und seine Macht keine diesbezüglichen Insignien braucht. Hier und da spricht er leider zu leise und zu beiseit.

Das klassenkämpferische Werk Brechts erlebte seine Uraufführung nicht in der Zeit, für die es geschrieben: Weltwirtschaftskrise Ende der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts, sondern erst 1959 in Hamburg, als Massen-Arbeitslosigkeit in der prosperierenden Bundesrepublik als eine Erinnerung an unwiederbringliche Tragödien erschien. Neoliberalismus und Raffgier der Banker katapultieren das Stück 2013 erneut in den Theater-Alltag.

Doch es dominiert eine seltsame Fremdheit, wenn das Publikum in Martin Nimz´ Inszenierung unmittelbar und direkt als Repräsentant jener Schichten angeredet wird, die in Mittellosigkeit und Elend versinken. Im Zuschauerraum sitzt doch keiner von denen! Auch die Videoeinblendungen (Naumann d\'Alnoncourt,) bergen irritierendes Material: Denn die Industriebrachen modern gar zu ostdeutsch.

Und der Aufruf der Fleisch-arbeiter zum Generalstreik erfährt Bebilderung mit Aufmärschen heutiger Rechtsradikaler. Als hätte nicht gerade hier 1989 ein Aufbegehren von ganz anderer Art stattgefunden! Da flammt latent ein Interpretationsnotstand auf, der freilich abgefangen wird durch die souveräne künstlerische Gewichtung der Inszenierung.

Strittige Umsetzung

Regisseur Nimz nutzt einerseits die vielgestaltigen rhetorischen Figuren Brechts und zeigt, wie nicht nur die Arbeiter zum wehrlosen Schlachtvieh werden, sondern es schlachten sich auch die Schlachter selber ab und das blutig. Andererseits erweitert er die Beziehung Johanna / Mauler um die zarte Andeutung einer Liebe.

Mit der Band aus den musizierenden Schauspielern Konstantin Marsch, David Nádvornik und Peter Weise (Musik: Sven Springer) schafft er einen gelungenen Brückenschlag ins Heute. Da rundet die Vix auch als Sängerin ihre Leistung ab. Das ästhetische Konstrukt (Dramaturgie Stefan Schnabel, Caroline Gutheil) vervollständigen Achim Naumann d\'Alnoncourt mit einer stilgerechten Bühne und Cornelia Brückner mit stimmigen Kostümen.

Die Schauspieler konstituieren ein durchweg ideenreiches und unterhaltsames Theaterereignis: Neben den bereits Genannten bringen Michaela Winterstein, Ralph Martin, Luise Audersch, Katharina Schlothauer und Susanne Krassa künstlerisch den Text ohne Fehl und Tadel auf die Bühne, aber politisch und in seiner Aktualität kommt die Umsetzung strittig daher. Brecht als Mainstream, das war gestern. Heute in Magdeburg belichtet, holpert es.