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Künstler ganz nah Plötzlich Clown

Martin Rühmann ist Sänger, Dichter, Wuschel. Und Weltentdecker zwischen Himmel und Erde.

Von Dana Micke 17.09.2016, 23:01

Magdeburg l Lass uns ein paar Sachen packen, knick den Zeiger von der Uhr, lass uns aus dem Käfig steigen zu den Resten der Natur. Das hat Martin Rühmann einst in seinem „Sommerlied“ getextet. Erdig, unaufgeregt, schön. Jetzt sagt er: „Lass uns runter zur Elbe gehen, an die Bank!“ Da unten, etwas abseits, trotzdem nah am „Mückenwirt“, ein paar Ecken weiter wohnt er mit seinem Sohn.

Martin Rühmann, Jahrgang 1961, studierte Theaterpädagogik in Köln und Magdeburg. Schreibt Texte und Musik. Tourt nicht nur mit seiner nach ihm benannten Band, sondern tritt auch gern mit Bruder Thomas oder solo auf. Lässt als Klinikclown die Herzen kleiner und großer Patienten höher schlagen. Arbeitet als Kulturmanager bei der Salus gGmbH. Ist irgendwie im Irgendwo ein Tausendsassa. Passt in keine Schublade. Will er auch gar nicht.

Was will er denn? Rühmann überlegt, den Blick über die Elbe schweifend, und schweigt. Erst mal.

„Alles kann man, was man will. Und man kann die Welt besiegen.“ Martin Rühmann hat Eva Strittmatters „Chagall“ mit sanften Klängen und starker Stimme in ein Lied gekleidet, das zum Repertoire der Band gehört. Die Combo veröffentlicht 2006 ihr erstes Album „Keine Haie“, wird für den Deutschen Schallplattenpreis nominiert, schafft es in der auf Liedermacher-Rock spezialisierten Radio-Hitparade liederbestenliste.de zur „Platte des Monats“.

Weitere CDs folgen: „Das kunterbunte Karussell“, „Zwischendeck“, „Landgang“. Und die Sonderausgabe „Unterwegs“ für Groß und Klein gleichermaßen, produziert und arrangiert von Tobias Morgenstern. Irgendwie immer berührend, mitunter gegen den Zeitgeist gebürstet, keine billige Massenware, sehr individuell. Die Lieder müssten im Radio eigentlich hoch und runter laufen. Passiert aber nicht.

Na, und! Martin Rühmann macht unbeirrt sein Ding. Wie tickt er? Sagt er nicht. Was denkt er über Heimat? „Das sind Freunde, die Umgebung. Ich bin gern am Wasser“, sagt er. Das Meer sehen, hören, riechen, berühren – alle Sinne ausreizen. So sind seine Lieblingsplätze „die Insel Poel. Dierhagen, der Ort meiner Kindheit. Und die Bank hier an der Elbe.“

Sehnsucht? „Ist für mich Weite, Meer, glückliches Umfeld.“ Aus Träumen sind seine Welten.

„Ich mach heute Nacht das Fenster auf / hol meine Flügel / und spring raus“, singt er in „Träumen“. „Komm Sehnsucht und schau nicht zurück.“ Die Sehnsucht ist es, die immer wieder zum Aufbruch ruft, einer Reise ohne Ziel. Er träumt „von schönen Orten. Einem weiß gedeckten Tisch mit Weißwein, netten Leuten, die auch zuhören können“, sagt er. Fragt man ihn nach dem Sinn des Lebens, redet er über „barrierefreies Erfinden von wundersamen Dingen. Lieder, Geschichten  ...“

Das will er. Das kann er. Da mag man ihm überallhin folgen. Egal, wohin seine in Poesie getauchte Geschichten ihn treiben. Martin Rühmann reißt an und lässt offen, malt Bilder, rahmt sie aber nicht, sucht Auswege aus der Enge, erzählt von verwundbaren Seelen, kleinen Fluchten, Selbstfindungen. Von Liebe, Aufbegehren, Leidenschaft. Mal bissig, mal sanft. Kein Kuscheln ohne Nachdenken.

Intim wird’s, wenn er mit Band und Bruder Thomas Rühmann, Star aus der TV-Serie „In aller Freundschaft“, auftritt. In „Schneefrühling“ geben die beiden Einblicke in ihre Kindheit, das Leben ihrer Großfamilie mit sieben Kindern. Mit dem Programm „Die Erde und Du“ haben Rühmann & Rühmann & Band ihre treue Fangemeinde im Magdeburger Wissenschaftshafen gerade erst am 7. September beglückt. Am 10. September wieder – auf dem Sachsen-Anhalt-Tag in Sangerhausen.

Gesang, Gitarre, Komposition, Texte, das ist Martin Rühmanns Part in seiner Band. Das war es schon in seiner legendären Formation „Stadtgeflüster“, mit der er in der DDR unterwegs war. 1989 dann auch mit Ludwig Schumann, Dichter, Koch und Theologe aus Zeppernick. Mit ihm schrieb er das Programm „Ansichten zu Ansichten“, damit tingelten sie durch die Clubs. 2010 durch den MDR wieder auf die Bühne gebracht, waren sie überrascht: Ihre Texte aus der Wendezeit reichen bis in die Gegenwart.

„Es hat alles seine Zeit“, heißt ein Lied von ihm. 1992 ist die Zeit reif für Wuschel. Ein Clown, durch Zufall geboren: Martin Rühmann will gerade sein erstes geschriebenes Kinderlied spielen. Da reicht ihm ein kleines Mädchen aus dem Publikum eine Clownsnase. „So habe ich das Lied von der Seifenblase mit roter Nase gespielt.“

Längst hat er ordentliche Klamotten: Rote Hosenträger halten die orange Hose, viel zu groß und mit Flicken benäht. Eine blaue Jacke mit grünen Taschen und Sonnenblume am Kragen. Ramponierte rot-weiße Schuhe. Weißer, angemalter „Bart“, schwarze Augenbrauen, die Lippen, Wangen und die Nase purpurrot. Eine Perücke aus bunten Stofffransen. Gestatten, das ist Wuschel in voller Pracht!

Und der hat heilende Kräfte. „Für Kinder sind Rituale wichtig.“ Danach hat der Clown sein Programm aufgebaut, sofern es eins gibt. „Ich arbeite situativ. Das Kind ist der Bestimmer. Mal gibt es ein Thema vor, mal tue ich das, greife dann Vorschläge auf und entwickle sie weiter.“

Wuschel ist ein Clown leiser Töne. Macht sich auch mal auf eine Reise zum Murmel-Mimel-Mamel-Mond. Da kommen Erwachsene nicht hin, aber Kinder: Man steckt sich eine Glasmurmel in die Hosentasche. Geht um eine Ecke, dann um eine andere, dreht sich einmal im Kreis! Und schon ist man da. Trifft seltsame Gefährten  ...

Stimmt Rühmann das Kinderlied „Herzlich willkommen“ an, vom Magdeburger Michael „Homi“ Homann arrangiert, dann geht einem das Herz auf, selbst wenn man schon ziemlich alt ist.

Doch das macht er jetzt nicht. Sitzt auf „seiner“ Bank an der Elbe, erzählt, hört zu. Und berichtet dann von der Magdeburger Klinikclown-Initiative. 2004 ins Leben gerufen, mit ausgebildeten Heil-, Theater- und Musikpädagogen, vereint unter dem Dach des Podiums aller kleinen Künste der Feuerwache.

Musik kennt keine Grenzen. Klingt abgedroschen, ist aber so. Musik hat Martin Rühmann Türen geöffnet. Zu sich selbst, hat er doch neue Talente an sich entdeckt, und zu anderen Menschen. „Es hat alles seine Zeit“, heißt ein Lied von ihm.

Über Wuschel kommt er 2007 zur Salus gGmbH. Eine soziale Landeseinrichtung mit Kliniken, Alten- und Behindertenheimen sowie Kinder- und Jugendeinrichtungen. Rühmann ist angestellt als Kulturmanager. Organisiert Konzerte, Lesungen, Song- und Theaterwerkstätten.

Er kann stundenlang Geschichten erzählen, die passen auf keine Volksstimme-Seite. Was er denn will, haben wir ihn eingangs gefragt. Jetzt die Antwort: „Lieder für kleine und große Leute erfinden.“ Das macht er herzergreifend schön, selbst wenn das Publikum die Texte mal nicht versteht. So bei Auftritten in Flüchtlingsheimen, aber Wuschels Pantomime-Gags sind international.

Zwei Wochen Sommerferien, viele verbringen die am Meer. Martin Rühmann fährt in seinem Urlaub 2015 mit seinem Minivan durch Sachsen-Anhalt zu Menschen, die nicht nur ein Dach über dem Kopf brauchen, sondern auch Abwechslung, ein Lächeln für den Moment. Da gibt er das Versprechen: „Wenn ein Flüchtlingsheim mich für einen Auftritt haben will, bin ich dabei.“

Aber erst mal kommt Clown Wuschel am 24. September zum Volksstimme-Drachenfest. Unterwegs zwischen Himmel und Erde, ist Martin Rühmann einer, der auch gern mal nach den Sternen greift.