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Mit einer bejubelten Balletturaufführung wird das 20. Kurt-Weill-Fest eröffnet Leben und Sehnen im "Hotel Montparnasse"

Von Helmut Rohm 27.02.2012, 04:25

Eine gefeierte Eröffnungspremiere erlebte das 20. Kurt-Weill-Fest. Tomasz Kajdanski hat mit "Hotel Montparnasse" am Anhaltischen Theater Dessau eine wunderbare und auch eindringliche Ballettinszenierung geschaffen.

Dessau-Roßlau l Ankommen ist nicht nur Glück. Ein Ankommen im Vertriebensein kennt auch Zweifel und Verzweiflung, Zukunftsängste, dann wieder Mut und Hoffnung. Die hier angekommen im kleinen Pariser Hotel, sind der Künstler und seine Freundin, sie mussten ihre Heimat verlassen. Jenes Berlin, in dem der Nationalsozialismus die Macht übernommen hat, in dem der Reichstag brennt und später die Synagogen brennen werden.

"Hommage à Paris" ist das Thema des diesjährigen Kurt Weill Festes, gewidmet der zweiten Lebens- und Arbeitsstation des Komponisten. Der Jude Kurt Weill emigriert 1933 nach Paris, lebt zwei Jahre in der Stadt. Eines der Künstlerschicksale dieser Zeit, von denen der Dessauer Chefchoreograf Tomasz Kajdanski in seinem Ballett "Hotel Montparnasse" erzählt, das am Freitagabend eine umjubelte Uraufführung erlebte.

Auf die große Bühnenrückwand projizierte Filmszenen (Video: Enrico Mazzi) von Gewalt, Verfolgung und Zerstörung im faschistischen Deutschland zu Auszügen aus der 1934 in Paris von Kurt Weill komponierten 2. Sinfonie lassen den Zuschauer zu Beginn eindringlich an den beklemmenden Erinnerungen der Emigranten teilhaben.

Tomasz Kajdanskis Ballett ist durchgängig faszinierend ganzheitlich und wirkt facettenreich und emotional nachhaltig auf den Betrachter. Die treffend ausgewählte Musik Weills und später auch von George Gershwin, engagiert von der Anhaltischen Philharmonie unter Daniel Carlberg präsentiert, verschmilzt mit einer Choregrafie, die von ausdrucksstarken Tanzszenen aller 14 Tänzerinnen und Tänzer geprägt ist.

Bühnenbild und Kostüme von Dorin Gal sind stimmiger Teil dieser kongenialen Komplexität. Das depressiv wirkende Schwarz-Weiß und die räumliche Enge der ersten Bilder öffnet sich zu größerer Weite, mehr und mehr Farbe kommt zum Tragen, pulsierendes Pariser Leben der 1930er Jahre.

Passend zum bunten Treiben in einer Pariser Bar - optisch und zwischenmenschlich - holt Tomasz Kajdanski das Orchester auf die Bühne und lässt es effektvoll aus der Tiefe nach vorn fahren. Musik und Handlung verschmelzen noch mehr. Es erklingen Auszüge aus Weills Concert Suite "Marie Galante". Sängerin Ute Gfrerer, in diesem Jahr Artist-in-Residence, hat hier ihren ersten Festival-Auftritt.

Nach der Pause erleben die Zuschauer ein neues, überraschendes Bild. Daniel Carlberg am Flügel greift als Pianist in das unmittelbare Geschehen ein. Er spielt Gershwins Klavierlieder und Prelude. Vor den Silhouetten von Pariser Wahrzeichen nehmen die Tänzerinnen und Tänzer die Zuschauer mit in das bewegte Leben in den Straßen an der Seine.

Juan Pablo Lastras-Sanchez als Emigrant, Künstler, Musiker und Laura Costa Chaud als seine Freundin, Muse und eine Frau sind fast durchweg auf der Bühne und tanzen ihre Rollen in allen Facetten überzeugend und mit viel Einfühlungsvermögen und faszinierender Ausstrahlung.

Unter dem Eiffelturm genießt ein neu angekommener Musiker (Joe Monaghan in einer Paraderolle) die Huldigung der jungen Frauen. Das Orchester spielt Gershwins "Ein Amerikaner in Paris". Tanz und Musik sind Lebensfreude pur. Eine hat es dem Musiker besonders angetan, die aber einem anderen gehört. Beide Männer werben mit fabelhaften Tanzfiguren um sie, der das Umschwärmtsein offensichtlich gefällt.

Das Emigrantenpaar findet schließlich doch wieder zusammen. Neue künstlerische Arbeitslust, neuer Mut, gebliebene Sehnsucht nach neuer Heimat. Es packt wieder die Koffer. Eine neue Reise steht an. Amerika blitzt durch. 1935 gehen Kurt Weill und Lotte Lenya nach New York.

Nächste Vorstellung: 4. März, 17 Uhr