1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Als Bruce Springsteen in die DDR kam

Legendäres KonzertAls Bruce Springsteen in die DDR kam

Ostberlin im Sommer 1988: US-Star Bruce Springsteen gibt ein Konzert. Hunderttausende kommen. Auch der Magdeburger Rainer Schuster.

Von Massimo Rogacki 19.07.2018, 01:01

Magdeburg l Es ist dieser eine Moment, bei dem es Rainer Schuster noch immer kalt den Rücken herunterläuft. Bruce Springsteen steht am 19. Juli 1988 auf der Radrennbahn Weißensee in Ost-Berlin. Das Konzert dauert bereits zwei Stunden. Soeben hat der „Boss“, wie ihn seine Fans nennen, seinen Überhit „Born in the USA“ gespielt.

Bis zu 500.000 Menschen auf dem Areal haben sich bei dem Refrain die Kehle aus dem Leib gebrüllt. Dann greift sich der Sänger das Mikrofon und sagt auf Deutsch: „Es ist schön, in Ost-Berlin zu sein. Ich bin nicht für oder gegen eine Regierung. Ich bin gekommen um Rock ‘n' Roll für euch zu spielen, in der Hoffnung, dass eines Tages alle Barrieren abgerissen werden.“ Nun ist die Menge nicht mehr zu bremsen. Alle wissen, was gemeint ist. „Damit sprach er uns aus der Seele“, sagt Rainer Schuster, damals Anfang 30.

Bruce Springsteen legt im Anschluss richtig los, singt den alten Bob-Dylan-Titel „Chimes of freedom“ (Geläut der Freiheit). Es folgen Titel wie „War“, „Because the night“ – Rainer Schuster rastet bei seinen Lieblingssongs komplett aus. Um 23 Uhr, nach vier Stunden, ist das Konzert zu Ende. Der völlig ausgelaugte „Boss“ verlässt unter frenetischem Jubel die Bühne.

Auch Rainer Schuster ist völlig kaputt. Am Vormittag war der Magdeburger mit dem Auto in seiner Heimatstadt gestartet. Im Gepäck zwei Kumpels und insgesamt drei Tickets zu 19,95 Mark (plus fünf Pfennig Kulturabgabe). Die begehrten Karten hatte sich der gelernte Schlosser über Beziehungen zum FDJ-Jugendclub in Magdeburger Armaturenwerk (MAW) in Buckau organisiert. Ein Kollege bietet ihm gar seinen Monatslohn von 800 Mark für die Chance, Springsteen einmal live zu sehen. Schuster lehnt ab. „Die ist unverkäuflich“, sagt er.

Er weiß, er hat Glück gehabt. Nur ein Bruchteil der 160.000 Tickets steht überhaupt zum Verkauf. „Der Großteil war schon für FDJler, Parteileute und irgendwelche Bonzen reserviert.“ Doch die wenigsten Fans lassen sich auch ohne Karte von ihrem Trip nach Berlin abhalten. Vorrangig junge Menschen zwischen 20 und 40 setzen sich an diesem 19. Juli in Leipzig, Karl-Marx-Stadt, Rostock oder eben Magdeburg in Bewegung. In der ganzen Republik platzen Züge aus allen Nähten. Auf den Autobahnen in Richtung Berlin gibt es Staus. In diesem Sommer 1988 hatten die DDR-Jugendlichen vor Springsteen schon Depeche Mode, James Brown, Bryan Adams und Joe Cocker zu Gesicht bekommen.

Springsteen und die anderen spielen zu lassen, sei zu dieser Zeit vor allem eine politische Entscheidung gewesen, denkt Rainer Schuster. Die Massen sollten ruhiggestellt werden. Der Zentralrat der SED konstatiert in dieser Zeit nüchtern: „Rockkonzerte mit Zehntausenden Besuchern haben sich als wirksame Form der massenpolitischen Arbeit der FDJ unter der Jugend der DDR bewährt.“

Das Politbüro hatte sich eingestehen müssen, dass die westlichen Einflüsse – zumindest in der Musik – nicht mehr zu stoppen sind. Der sogenannte 5. Berliner Rocksommer der FDJ, in dessen Rahmen Springsteens Auftritt erfolgte, ist geboren.

Um dem Klassenfeind nicht allzu viel Genugtuung zu verschaffen, wird aus Springsteen kurzerhand ein Arbeitersänger gemacht. Die Zeitung „Neues Deutschland“ erklärt den Sohn eines „arbeitslosen Busfahrers aus New Jersey“ gleich mal zum „Sänger der Armen und Entrechteten“. Pflichtschuldig schreibt auch die Volksstimme, Springsteen lasse sich nicht vor den „Karren jener US-Politiker spannen, die stets die Mär vom ‚American Life‘ verkaufen.“

Das Konzert steht skurriler Weise unter dem Motto „Nikaragua im Herzen“. Doch „Boss“ Springsteen lässt sich nicht instrumentalisieren, sämtliche Nikaragua-Banner müssen weg, sonst trete ich nicht auf, so der „Boss“. Der Auftritt findet statt, der Rest ist Geschichte. 32 Songs wird der US-Amerikaner am Ende des Abends gespielt haben. Sein Auftritt ist das größte jemals in der DDR veranstaltete Rockkonzert.

Weitere Zahlen: Unter die zwischen 160.000 bis 500.000 Fans, die mit oder ohne Ticket auf das Gelände gelangten, mischten sich auch 400 MfS-Mitarbeiter. Eben jene Stasi meldete später 800 kollabierte Bürger der DDR.

Zehn Stunden hat Rainer Schuster auf dem Konzertgelände zugebracht, um seinem Idol nahe zu sein. Am frühen Morgen des nächsten Tages kommt der Magdeburger zurück nach Hause. „Geschafft, aber glücklich“, wie er sagt. Den „Boss“ hat er noch einige Male live gesehen. „Dass das mal Normalität sein würde, haben wir uns 1988 nicht träumen lassen“, sagt er.