Jazz in der Kammer zum 200. Mal Lieder gegen den Gleichschritt in den Köpfen
Von Liane Bornholdt
Magdeburg. Seit der Gründung der Freien Kammerspiele zur Spielzeit 1990/1991 gibt es die Reihe "Jazz in der Kammer". Die Konzertreihe hat verschiedene Intendanten und Theaterstrukturreformen überlebt. An jedem dritten Montag im Monat lädt der Saxophonist Warnfried Altmann Jazzmusiker ins Foyer des Schauspielhauses, in dieser Woche zum 200. Mal.
Das Jubiläum hatte einige Besonderheiten. Es waren eigentlich zwei Konzerte, das erste begann um 20 Uhr, eine Stunde vor der sonst üblichen Anfangszeit. Das Kammerfoyer aber war, wie sonst auch, dicht gefüllt, und die Musiker, die hier spielten, waren auch alles andere als eine Vorband. Im Foyer spielte das Dresdner Gitarrenduo "hands on strings" mit Stephan Bormann und Thomas Fellow. Beide sind Weltklassegitarristen, und ihr Programm war gleichermaßen unterhaltsam wie anspruchsvoll. Beide können außerordentlich virtuos spielen, und sie entlockten ihren sechs Gitarren, darunter Konzert-, Oktav- und zwölfsaitige Gitarre wunderbar differenzierte Klangfarben. Dabei entwickeln sie ihre Stücke mit einem Feuerwerk musikalischer Ideen und Finessen.
Aus bekannten Popsongs entstanden unter ihren "hands on strings" atemberaubende Musikstücke und wunderbar improvisatorische Verwandlungen. Sie beherrschen alle Tonarten des Gitarrenspiels vom singenden Klang über aufregende Steigerungen bis zu harten Beats. Das ganze Programm war mitreißend, und die eine Stunde ihres Auftritts verging wie im Flug.
Zum zweiten Konzert im Saal des Schauspielhauses gab es auch ein besonderes Programm. Das Ekkehard Jost Oktett zeigte sein Programm "Gesänge gegen den Gleichschritt".
"Wo bleibt ihr nur, Genossen meiner Zeit?"
Als er in den 70er Jahren in Magdeburg die ersten Free-Jazz-Konzerte erlebt hatte, sagte Warnfried Altmann zu Beginn, habe er diese Musik als politische Musik verstanden, als freie Musik der Offenheit. Deshalb sei das Projekt, das ihm Ekkehard Jost angeboten habe, auch eine ideale Festmusik zum 200. Mal "Jazz in der Kammer".
Die sieben Musiker und der Schauspieler Dietmar Mues haben politische Lieder aus fünf Jahrhunderten für ihre Jazzband arrangiert. Der Schauspieler las und spielte die Texte, fügte sie ein in die jazzig-rockigen Klänge, mit denen die Musiker die teils bekannten und manch weniger bekannten Lieder zu zeitgenössischer Musik machten. Da war beispielsweise "Ich bin ein freier Bauernknecht", ein aufsässig-zorniges Lied aus dem 17. Jahrhundert oder Erich Mühsams Gedicht "Wo bleibt ihr nur, Genossen meiner Zeit?", zu dem Jost selbst Musik komponiert hat. Das seien Lieder, so Ekkehard Jost, die sich vor allem gegen den "Gleichschritt" in den Köpfen wende, Lieder, die zu ihrer Zeit genauso wie jetzt zu Veränderung und Verbesserung ermutigen.
Dies musste gelingen, vor allem weil hier wirklich wunderbare und eben ermutigende, ebenso sensible wie kraftvolle Jazzmusik erklang.