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Jannis Kounellis stellt im Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen aus Mäntel stehen für eine Welt in Bewegung

Von Klaus-Peter Voigt 09.06.2012, 03:16

Im Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen wird morgen eine neue Ausstellung eröffnet. Jannis Kounellis zeigt bis zum 9. September sein ungewöhnliches Werk.

Magdeburg l Langsam geht Jannis Kounellis immer wieder seine Runde. Oft, sehr oft hat der Künstler in den vergangenen Tagen den Kreuzgang im Magdeburger Kloster Unser Lieben Frauen regelrecht durchschritten und dabei Ideen gesammelt. Die Anspannung ist ihm anzusehen. Bis zum letzten Moment plant, verändert und konzipiert er seine Personalausstellung im Kunstmuseum der Landeshauptstadt. Erst wenige Stunden vor der Eröffnung am Sonntag soll die monumentale Installation tatsächlich abgeschlossen sein.

Der in Rom lebende Künstler ist ein Glücksgriff für Magdeburg. Seine Installationen haben Kultstatus, gilt er doch als einer der bedeutendsten Vertreter der Arte Povera. Die Kunstrichtung, der das Museum 2003 eine umfassende Ausstellung unter anderem mit einer Arbeit Kounellis widmete, hat ihre Ursprünge in Italien. Zwischen 1967 und 1971 entstand sie vor allem in Turin, Mailand und Rom. Mit ungewöhnlichen Materialien und Sichtweisen reagierten italienische Künstler auf die damals prägenden Tendenzen aus den USA wie die Popart. Maler und Bildhauer protestierten auf ungewöhnliche Weise gegen Althergebrachtes, scheinbar verstaubte Ansichten. Kunst definierte sich plötzlich neu, sollte gleichsam vom Sockel geholt werden. Alltagsdinge wurden zu ihrem Gegenstand, hatten das Ziel, die Distanz zum eigentlichen Rezipienten zu verringern.

Der Markt reagierte und holte die Idee der "armen Kunst" ein. Inzwischen finden sich die Vertreter der Arte Povera in den großen Museen der ganzen Welt wieder. Es geschah also etwas, das sie mit ihrer "Revolution" ursprünglich vermutlich nie beabsichtigt hatten. In anderen Ländern wie Deutschland gab es mit Joseph Beuys ähnliche Tendenzen und Entwicklungen.

Ständige Veränderung der Objekte

Bei Museumsleiterin Annegret Laabs ist die Freude über die jüngste Ausstellung zu spüren. "Wir hatten diesen Umfang nie erwartet, als wir die ersten Kontakte zu Kounellis aufnahmen", lautet ihre nüchterne Einschätzung. Nachdem sie dem Künstler einige Fotos des Klosters gezeigt hatte, wollte dieser spontan eine eigene Installation schaffen. Von der puren Übernahme seiner Schau aus dem Museum Kurhaus Kleve war keine Rede mehr. Bereits existierende Objekte verschmelzen nun mit neu geschaffenen zu einem Ganzen.

Das im Vorfeld zu beschreiben fällt wegen der ständigen Veränderungen der Objekte, ihrer Anordnung schwer. Aus "armen" Materialien entwickelt Jannis Kounellis seine häufig provozierende Kunst. Kohle und Eisen, Sackleinen und Holz, Mäntel und Schuhe verwendet der gebürtige Grieche.

Nachdem er im vergangene Jahr in Kleve erstmals Arbeiten aus Teer vorstellte, ist diese Form seines Ausdrucks als Maler jetzt in Magdeburg zu sehen. Ein neues Kapitel im Schaffen eines Mannes, der nicht angepasst erscheint. In Teer getränkte und zerknautschte Mäntel dienten regelrecht als Druckstock für einige der Bilder. Andere Flächen ähneln Patchworkarbeiten.

Für die Ausstellung im Kunstmuseum verknüpfte er Mäntel mit groben Stichen. Zerrissen waren sie und wurden wieder zusammengefügt. Symbolhaft stehen sie für eine Welt in Bewegung, für Zerrissenheit rund um den Globus. "Wir leben heute in einer Gesellschaft, die nur aus Bruchstücken besteht. Ein präzises, wie in Öl gemaltes Weltbild gibt es nicht mehr. Das Drama des Zerfalls der Welt in Fragmente, das ist mein Thema", sagte Kounellis 1996. Diese Aussage beweist Beständigkeit bis in die Gegenwart.

Verschmelzung des Projektes mit dem Bauwerk

Alle vier Flügel des Kreuzganges verwandelten sich zunehmend in eine Präsentation aus großen, leinwandüberzogenen Stahlplatten. Die jeweils 30 Meter langen Wände repräsentieren vier Teile eines Ganzen. Ihn habe vor allem die Verschmelzung seines Projektes mit dem Bauwerk aus dem Mittelalter gereizt, sagt der ansonsten eher schweigsame Künstler. Das habe es ihm leicht gemacht, die Einladung nach Magdeburg anzunehmen. Kounellis reizte die einstige Funktion des Sakralbaus als Kloster. Den Weg der Mönche in alter Zeit unter modernen Blickwinkeln nachzuvollziehen, das sei es für den Nichtgläubigen gewesen. Das Quadrat des Kreuzgangs übte auf ihn eine große Anziehungskraft aus.

Jannis Kounellis wurde 1936 in Piräus/Griechenland geboren. Er lebt und arbeitet seit 1956 in Rom. Von 1993 bis 2001 war er Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. Kounellis entwarf auch Bühnenbilder unter anderem für Inszenierungen von Heiner Müller. Seine Werke befinden sich in allen bedeutenden Museen der Welt, sie waren auch in Kassel auf den Präsentationen der documenta 5, 6 und 7 zu sehen.

Ausstellungseröffnung ist morgen um 15 Uhr