"Von morgens bis mitternachts" am Schauspielhaus Magdeburg Mit geklautem Geld hinaus in den Rausch des Lebens
Von Claudia Klupsch
Magdeburg. "Das Geld ist der armseligste Schwindel unter allem Betrug!", so die große Erkenntnis eines kleinen Mannes. Zuvor hat er vergeblich versucht, 60 000 Mark auf den Kopp zu kloppen – für Leben, Erleben, Sinn. In "Von morgens bis mitternachts" ist ein Bankkassierer zu beobachten, der mit veruntreutem Geld seinem erbärmlichen Dasein entfliehen will. Das Publikum wird Zeuge seines Scheiterns.
Fast 100 Jahre alt ist das Stück des Magdeburgers Georg Kaiser, einer der bedeutendsten Vertreter der expressionistischen Dramatik. Selten finden sich seine Werke in den Theaterspielplänen. Auch in seiner Heimatstadt mussten über 30 Jahre vergehen, bis wieder ein Stück von ihm zu sehen ist. "Von morgens bis mitternachts" feierte am Wochenende im Schauspielhaus Premiere.
Gemäß Kaisers Form des Stationendramas lässt Regisseur Marc Langhuß den Helden die Stationen seines Ausbrechens passieren. In weniger als eineinhalb Stunden folgt Bild auf Bild, Symbol auf Symbol, ist die (Selbst)Reflexion des Helden in des Autors expressionistischer Sprache zu hören. Anspruchsvolle Kost, das Stück ist modern und gefällig aufbereitet, ohne seinen expressionistischen Charakter zu verlieren.
Das erste Bild von Bühnenbildner Martin Dolnik zeigt einen seelenlosen Bankschalterraum. Zweierlei graue Farbe an den Wänden, ein einsamer Geldautomat. Die "Show" gehört Ralph Martin als gescheitelter, beschlipster Bankdirektor, der das Publikum, die "Magdeburger Kleinbürger" in lässiger Finanzer-Attitüde mit Worten von Geld und Freiheit belabert. Neben dem Gelackten fällt der kleine Mann in miesfarbigem Anzug nicht auf – dienstbeflissen, wortlos, unscheinbar. Werner Eng zeigt diesen namenlosen Niemand mit trauriger Mimik und lascher Körperhaltung, ein graues Männlein in einer grauen Welt. Doch nach seiner elektrisierenden Begegnung mit der Dame in Pelz und Seide (Iris Albrecht) sieht das Männlein seine Stunde gekommen. Mit geklautem Geld kaufen, kaufen, kaufen. Hinaus in den Rausch des Lebens!
Ideenreiche plakative Bilder
Auf der sich wandelnden Bühne wird jede Episode mit ideenreichen plakativen Bildern "abgearbeitet". Allerdings glücken die Übergänge nicht immer, und das Publikum sitzt wartend im Dunkeln. Dafür gelingen einige Bilder um so mehr. Werner Eng, Raphael Nicholas und Alexander Absenger schaffen es, die aufgeheizte Atmosphäre bei einem Sechs-Tage-Rennen erleben zu lassen. Aufschluss gibt der Blick in das Zuhause des Kassierers: ewiges Einerlei, nervende Gören, eine mit Kotelette wartende Gattin. Herrlich gelingt es Bernd Vorpahl, den grotesken Tod der Großmutter zu "sterben". Lächerlich, nein, es ist traurig, dieses Dasein. Der arme Kassierer kann nur fliehen – einen Stoffbeutel voller neuen Lebens an sich gepresst.
Doch das Vorhaben – Ich erkaufe mir ein aufregendes, erfülltes Leben – geht schief. Die schillernde Dame schüttelt ihn ab, die Leidenschaft der Massen in der Sportarena ist nicht käuflich, und im Puff findet er sowieso kein Glück. Werner Eng beschreitet diese Stationen der Desillusionierung, lebt die Figur, die "vollen Einsatz" wagt, doch ein graues Männlein bleibt, irgendwie verloren in verlogener Welt. Der Schauspieler meistert Kaisers kunstvolle Sätze. Sein sprachlicher Quasi-Gegenspieler ist der Bankdirektor mit heutiger Verkäufersprache.
Kassierer und Direktor bleiben "Gegenspieler" bis zum Ende. Langhuß gestattet dem Kassierer nicht den lauten Tod, den Kaiser für ihn vorsah und überlässt dem Direktor die Worte des Siegers, wie etwa "Gier funktioniert". Hier mag das Publikum (leider) zustimmen und sieht sich bestätigt. Ja, so ist es. Mit keinem Geld der Welt kann man sich "etwas von Wert" kaufen. Der Einzelne ist nichts und verschwindet, die Mechanismen von Macht und Geld bleiben unangetastet.