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Wie Filmemacher das Trauma des 11. September 2001 aufzuarbeiten versuchten Mitunter verschwinden die Grenzen zwischen Gut und Böse

Von Sascha Westphal 09.09.2011, 04:27

Die Nachrichtenbilder des 11. September hatten auf zutiefst verstörende Weise etwas von einer typischen Hollywoodfiktion. Mit dem Sturz der Türme fielen Imagination und Wirklichkeit in eins. Danach sollte im US-amerikanischen Kino nichts mehr so sein wie zuvor.

Frankfurt am Main (epd). In den Wochen nach den Anschlägen wurde Mäßigung gefordert. An Hollywood erging ein Bilderverbot, das die Produktion weiterer Desasterszenarien verhindern sollte.

Für kurze Zeit zeigten die Ereignisse jenes Tages tatsächlich Wirkung. Andrew Davis\' Thriller "Collateral Damage" (2002), in dem ein von Arnold Schwarzenegger gespielter Feuerwehrmann Rache an den Terroristen übt, nachdem seine Familie bei einem Anschlag ums Leben gekommen ist, wurde vier Monate zurückgehalten und kam erst im Februar 2002 in die Kinos. Andere Projekte wurden ganz eingestellt. Allerdings hielt diese Abstinenz nicht lange an.

Action- und Katastrophenspektakel sind nicht verschwunden, ganz im Gegenteil: Sie sind gerade in den vergangenen zehn Jahren mit Vehemenz in die Kinos zurückgekehrt. Aber sie haben nun eine andere Wirkung; ihre Fantasien sind fest in der Realität verankert. Genau damit spielen etwa Christopher Nolan, dessen "Batman"-Filme auch Allegorien auf die Welt nach dem Fall der Türme sind, oder Steven Spielberg in "Krieg der Welten" (2005) mit den immer wiederkehrenden Bildern der leeren Kleidungsstücke der Toten, die auf die Erde niederregnen.

Trauern, den Tod als die eine große Konstante der menschlichen Existenz akzeptieren, dabei zugleich aber auch das Leben und seine stete Erneuerung feiern - das hat sich als zentrales Motiv des Post-9/11-Kinos erwiesen. Es erfüllt "World Trade Center", Oliver Stones Hommage an die New Yorker Polizisten, die unter den Trümmern der Türme begraben wurden, bevor sie überhaupt irgend jemanden retten konnten, ebenso wie "Die Liebe in mir", Mike Binders Drama eines Mannes, der seine Familie in einem der Flugzeuge verlor, und Sharon Maguires "Blown Apart" (2008), der von einem fiktiven Anschlag auf ein Londoner Fußballstadion erzählt.

Ein wehrhafter Westen wird gefordert

Paul Greengrass setzt in "Flug 93" (2006) mit seiner filmischen Rekonstruktion der Ereignisse, die im ungeplanten Absturz der vierten entführten Maschine gipfelten, ein politisches Statement. Aus dem Dunkel erklingt die Stimme eines Mannes, der etwas auf Arabisch rezitiert. Es ist die Stimme eines der Terroristen, die wenige Stunden später den Flug 93 in ihre Gewalt bringen und in Richtung Washington umlenken.

Die Botschaft dieser ersten Bilder könnte nicht eindeutiger sein: Der Islam ist das Fremde und Dunkle, das sich an jenem Tag über die Welt gelegt hat und seither nicht vertrieben werden konnte. Greengrass instrumentalisiert seinen Film, wie es Michael Moore mit seiner gegen die Wiederwahl Georg W. Bushs gerichteten Doku "Fahrenheit 9/11" (2004) tat: Hier wird ein wehrhafter Westen gefordert, und das mit jeder Einstellung und jedem Schnitt.

Seit "9/11" scheinen die Fronten klar gezogen: Auf der einen Seite die USA und der Westen, auf der anderen die islamistischen Terroristen und die Schurkenstaaten, die sie unterstützen. Doch in Wahrheit sind die Verhältnisse natürlich viel komplizierter.

Konsequenterweise hat mit Filmen wie Stephen Gaghans "Syriana" (2005) und Ridley Scotts "Der Mann, der niemals lebte" (2008) eine neue Unübersichtlichkeit in den Politthriller Einzug gehalten: Die Grenzen zwischen Gut und Böse sind verschwunden, der Zweck heiligt die Mittel und die wiederum entheiligen noch den letzten moralischen Rest, der Amerika geblieben ist.

Auch das Melodrama, das immer schon von Trauer und Verlust erzählt hat, steht mittlerweile ganz im Zeichen jenes Tages. Natürlich kann man sagen, dass Mike Binder in "An deiner Schulter" (2005) einfach die Geschichte einer Ehefrau und Mutter erzählt, deren Mann plötzlich verschwunden ist. Doch die lange vor allem von Hysterie und Wut geprägte Stimmung des Films, die erst nach und nach umschlägt, findet in der Welt des frühen 21. Jahrhunderts einen eigenen Resonanzboden.

Kino kann auch von Versöhnung träumen

Melodramatisch ist zudem ein Film, der den Blick einmal umkehrt. "My name is Khan and I am not a terrorist", ist die Botschaft, die der aus Indien stammende Moslem Rizvan Khan an die Amerikaner hat. Der am Asperger-Syndrom leidende Immi- grant, leidenschaftlich gespielt von dem Bollywoodstar Shah Rukh Khan, erfährt nach den Anschlägen des 11. September die USA als ein von Zorn erfülltes und von Rassismus geprägtes Land. Immer wieder werden er und seine Familie Opfer von Vorurteilen und tätlichen Angriffen; Khan macht sich auf den Weg, dem Präsidenten persönlich sein Credo zu übermitteln.

Der Film von Karan Johar leistet Trauer- und Wiederaufbauarbeit mit den Mitteln des großen, auch unterhaltenden Publikumskinos. Und beweist, dass Kino nicht nur Desaster kann, sondern auch von Versöhnung träumen.