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Chefdirigent Neuer Schwung für die Kammerphilharmonie

Jan Michael Horstmann, seit 2019 Chefdirigent in Schönebeck, erzählt über seine Pläne mit der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie.

Von Grit Warnat 12.01.2020, 00:01

Schönebeck l Wer jüngst die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie bei einem ihrer Auftritte gehört hat, dem wird eine neue Freude am Musizieren nicht entgangen sein. Jan Michael Horstmann, seit vier Monaten am Dirigentenpult, hat Schwung in das kleine Orchester gebracht. Auch in die Zuhörerschaft. Denn Horstmann nimmt das Publikum auf besondere Weise mit. Er ist mit Leidenschaft Moderator. Ein Konzert mit dem Orchester wird somit auch ein Ausflug in interessante Musikgeschichten. Es sei wichtig, das Publikum mit ins Boot zu holen, sagt er. Gespür für den hiesigen Menschenschlag hat er.

Horstmann in eine ihm bekannte Region zurückgekehrt. Der gebürtige Frankfurter war von 1996 bis 2004 stellvertretender Generalmusikdirektor am Theater Magdeburg. Dann zog es ihn zu neuen Aufgaben nach Sachsen, wo er zuletzt Operndirektor der Landesbühnen in Radebeul war. Er inszenierte auch, eine Herausforderung für Horstmann. Er wage sich gern an Neues, erzählt er. Er setzt auf spartenübergreifende Projekte und führt die unter seinem Vorgänger begonnene Zusammenarbeit mit dem Theater der Altmark Stendal fort.

Der 51-Jährige liebt nicht nur das Dirigat. Er ist Regisseur, Pianist, Chansonnier, Cembalist. Er schmunzelt: „Wissen Sie, ich bin ein bisschen Hans Dampf in allen Gassen.“

Seine Offenheit für alles Neue hat sein Team schnell erfahren. Er hebt schon mal die Konzert-Regeln auf, weil Kleinstkinder auf Gymnastikmatten liegen und leise brabbeln. Der Neu-Schönebecker hat Baby-Konzerte eingeführt und erzählt darüber, als ob es das Normalste von der Welt wäre. Ist es für ihn auch. Denn daheim, wenn er selbst Cembalo spielt, sei ihm klargeworden, dass seine ein Jahr alten Zwillinge ganz besonders auf das Live-Spiel reagiert hätten. Warum nicht den Versuch wagen und ein Konzert mit klassischer Musik anbieten? Es ist sicher eher ein Angebot für die jungen Mütter, die sonst kaum Gelegenheit zum Konzertbesuch haben. Horstmann sagt, er sei selbst erstaunt gewesen über den Zuspruch – 30 Mütter samt Babys waren gekommen – und über den nicht allzu großen Lärmpegel, den er sich vor dem Start dieses Versuchsballons ganz anders ausgemalt hatte. Eine Neuauflage ist bald geplant.

Er selbst nennt dieses Projekt „Konzert für neue Mitbürger“, das noch ein weiteres Anliegen einschließt: Asylbewerbern klassische Musik nahebringen. Am 30. Januar werde es die zweite Auflage geben, nachdem ihn das erste Konzert „total berührt“ habe. Vor allem, weil Menschen zuhören, darunter Syrer und Afghanen, die noch nie zuvor ein Orchester live erlebt haben.

Dem Stammpublikum vor allem in Schönebeck und dem Salzlandkreis bietet er Kammerliteratur, also Fassungen für sein 23 Musiker umfassendes Orchester, um sich auch von den großen Ensembles im Land abzuheben. Dabei begibt er sich in dieser Spielzeit auf Spurensuche und greift auf Musik verfemter, Konzertgängern kaum bekannter Komponisten zurück wie Nikolai Roslawetz und Benno Uhlfelder. Der Klangkörper erinnert so an ermordete, von Berufsverbot betroffene oder totgeschwiegene Musiker. Horstmann spricht von einer Notwendigkeit in einer Zeit, in der ein jüdischer Pianist Morddrohungen erhält. Er meint den Starpianisten Igor Levit, dem im November per Mail ein Anschlag auf ein Konzert angekündigt worden war. Auf verfemte Komponistinnen will Horstmann in der nächsten Spielzeit setzen. Aber bis dahin gibt’s noch jede Menge Konzerte, das Musikfest „Klänge im Raum“, den Operettensommer.

Ist er angekommen in Schönebeck? Das „Ja“ kommt ganz schnell. Denn: „Das Orchester ist aufgeschlossen und sehr offen für Neues.“ Und eine schöne Wohnung haben er und seine Familie auch bezogen.