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Jazz Improvisation ab erstem Ton

Wenn Keith Jarrett an sein „Köln Concert“ zurückdenkt, dann kommen ihm erstmal negative Erinnerungen.

07.05.2020, 23:01

New York (dpa/vs) l „Ich denke an das schlechte italienische Essen, das mir serviert wurde, bevor ich anfangen sollte zu spielen“, erzählte der Pianist dem US-Radiosender NPR. „Ich denke daran, dass sie das falsche Klavier gemietet hatten.“ Es habe „schrecklich“ geklungen, und beinahe sei das frei improvisierte Konzert nicht aufgenommen worden. Aber dann klappte es doch, und danach habe er sich die Aufnahme im Auto auf Kassette angehört. „Und wir haben uns angeschaut und gesagt: ,Oh Mann. Das müssen wir veröffentlichen.‘“

Inzwischen ist „The Köln Concert“ von 1975 längst legendär und mit mehr als 3,5 Millionen verkauften Kopien das erfolgreichste Soloalbum der Jazz-Geschichte. Es machte Jarrett, der heute 75 Jahre alt wird, weltberühmt – und ist doch nur ein kleiner Teil seines umfassenden Werkes, das immer noch wächst und wächst. Der Pianovirtuose begeistert sein Publikum mit der Interpretation klassischer Komponisten ebenso wie mit seinen Jazz-Interpretationen. Solo ist Jarrett ein Meister – aber auch mit seinem Trio, zu dem Bassist Gary Peacock und Schlagzeuger Jack DeJohnette zählen, feierte er große Erfolge.

Geboren wurde Jarrett 1945 als ältester von fünf Söhnen in eine streng religiöse Familie im US-Bundesstaat Pennsylvania hinein. Schon als kleines Kind bekam er Klavierunterricht, mit sieben Jahren gab er sein erstes Konzert, mit zwölf ging er auf Tourneen, 17-jährig füllte er ein Abendprogramm ausschließlich mit eigenen Kompositionen, und schon bald spielte er mit Stars wie Charlie Haden und Miles Davis.

Seit Jahrzehnten prägt Jarrett die Szene und gehört zu den erfolgreichsten Musikern der Welt. In den 90er Jahren musste sich der vielfach preisgekrönte Pianist eine Auszeit nehmen, litt unter chronischer Erschöpfung und konnte nicht mehr spielen. Als die Kraft langsam zurückkehrte, musste er seine Virtuosität neu erlernen. „Alles war anders. Ich habe Musik und ihre Bedeutung anders empfunden.“ Inzwischen legt Jarrett, der zum dritten Mal verheiratet ist und zwei Söhne hat, mehr Pausen ein, um sich zu Hause auf seiner Farm in der 2000-Seelen-Gemeinde Oxford in New Jersey zu erholen.

Stimmt aber die „emotionale Farbe“ in einer Konzerthalle, „ist das Publikum bereit, mir zu folgen, ganz gleich, durch welchen Prozess ich gehe“, kennen seine Kreativität und Fantasie keine Grenzen. Dann improvisiert er vom ersten Anschlag bis zum Applaus, manchmal ohne ein einziges Mal auszusetzen. Da sich Jarrett in seinen Improvisationen nie wiederholt, ist jedes Konzert ein neues Werk.

Wenn es ganz schlimm kommt, bricht Jarrett aber auch mal ein Konzert ab. Es genügt, wenn zu viel gehustet wird. Eine Jarrett-Anekdote ging in die Jazzgeschichte ein, als er sein Spiel abbrach und einen Besucher zurechtwies: „Soll ich rausgehen, bis sie mit dem Husten fertig sind?“