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Von Bettina Koch Paulas Time-Sharing

Von Bettina Koch 24.06.2010, 05:20

Mit Spargelstange und -messer bewaffnet öffnete mir meine Freundin Paula die Wohnungstür. "Hallöchen", schmetterte sie mir entgegen und sprintete zurück in ihre Single-Küche. "Kannst schon mal die Schnitzel würzen und wälzen", trieb sie mich an, während sie das letzte altmärkische Edelgemüse der Saison bearbeitete. Beim gemeinsamen Kochen wollte mich Paula in ihr neues Projekt einweihen. "Time-Sharing" gab sie mir als ersten Brocken vor und zwinkerte mir fröhlich zu.

"Time-Sharing? Das ist doch diese geniale Geschäftsidee, bei der viele Leute gemeinsam eine Ferienunterkunft bezahlen und dann dort hinfahren dürfen, wenn sie nicht wollen. Und wenn sie dann könnten, ist immer schon besetzt", murmelte ich, während ich abwechselnd an Salz- und Pfeffermühle drehte. "Was willst du dir denn mit wem und wo teilen und warum überhaupt?", wollte ich wissen.

"Keine Datsche, nur die Freizeit, und einzahlen muss vorher auch niemand", klärte mich Paula auf. Und na ja, eigentlich sei das Projekt auch nicht so neu, Karl, ihr Liebster, mache es vor, und sie finde, "das Freizeit-Teilen hat was". Mit seiner Gattin Karin gehe Karl zu Florian Silbereisen, führte sie ein Beispiel an. "Da kriegen mich keine zehn Pferde hin." Paulas Mundwinkel kringelten sich deutlich abwärts. "Mit mir geht er dann zu Charlies Crew, die Magdeburger spielen Oldies vom Feinsten", schwärmte sie, und schon entkrampften sich die eben noch gequält wirkenden Gesichtszüge und wichen echter Verzückung.

"Ach so", sagte ich, die Schnitzel in Mehl wälzend, "das Projekt kenne ich. Bigamie heißt das. Karl hat zwei Frauen für verschiedene Bedürfnisse. Und du drehst den Spieß jetzt um?" "Von Karin kann er sich nicht so oft loseisen, und vieles, was ich gern mache, lässt ihn leider völlig kalt. Irish Folk zum Beispiel, Silbermond, die Kriminalromane von Joy Fielding, Lammbraten, Windsurfen und Salsa ..." Paula geriet bei ihrer Aufzählung regelrecht in Fahrt. Ich gab ihr Recht, das Leben hat mehr zu bieten für eine Frau wie sie – sportlich, kulinarisch, kulturell – das ist einfach zu viel für nur einen Karl, das sah ich ein.

Die Schnitzel nahmen ihr Bad im Ei, bevor sie die Schale mit Semmelbröseln passierten, um dann zischend in der heißen Pfanne neben dem Spargeltopf zu landen. Jetzt war nur noch offen, wer der zweite Teilzeit-Mann in Paulas Freizeit-Programm werden sollte. Der Spargel köchelte, die Spannung stieg. "Ich gebe ein paar Anzeigen unter der Rubrik ,Freizeitpartner gesucht‘ auf", verriet Paula. "Und warum gleich mehrere?", fragte ich erstaunt. "Um die Herren mit meinen vielen Freizeitaktivitäten nicht zu überfordern", klärte sie mich auf, griff nach einer neuen Pfanne, um Butter aufzulösen und Semmelbrösel zu bräunen. Also suche sie Teilzeit-Partner separat für gemeinsames Gipfelstürmen, Tanzen, Essengehen und Kochen, für Konzerte, Kino und Theater.

"Könntest du nicht erst mal klein anfangen?", fragte ich. Aber Paula hatte damit gerechnet und längst ihre Begründung parat: "Die Zahl der Kompromisse, die du eingehen musst, verhält sich umgekehrt proportional zur Zahl der Time-Sharing-Partner", verkündete sie strahlend. Ich weiß nicht, wie viele einsame Nächte Paula darüber nachgegrübelt hatte, aber für mich klang das wie eine mathematische Formel für Polygamie. "Deinem Jahresziel, den Mann ohne Macken zu finden, kommst du damit aber bestimmt nicht näher", mutmaßte ich. Paula bat zu Tisch. "Warten wir‘s ab", sagte sie mit ihrem gewinnenden Lächeln.