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Vor zehn Jahren starb Astrid Lindgren / Die bekannte Kinderbuchautorin hat mehr als 100 Bücher geschrieben Pippi, Michel, Eva-Lotte: Ihre Helden sind keine Musterkinder

28.01.2012, 04:18

Berlin (dapd) l Ohne sie wäre die Kindheit nur halb so schön: Vor allem mit Pippi Langstrumpf, Kalle Blomquist, Michel aus Lönneberga und den Kindern aus Bullerbü schuf Astrid Lindgren Gestalten voller Fantasie und Kraft. Dabei hatte sich die Bauerstochter aus dem südschwedischen Dorf Näs eigentlich geschworen, niemals Schriftstellerin zu werden. Heute gilt Astrid Lindgren, die heute vor zehn Jahren starb, als bekannteste Kinderbuchautorin aller Zeiten.

Ihre Karriere begann mit einem Zufall: Tochter Karin erkrankte im Herbst 1941 an einer Lungenentzündung und genas nur langsam. Sie bettelte: "Mama, erzähl mir bitte was!" Und die Mutter erzählte von ihrer Kindheit auf einem Bauernhof, ihrem Vater Samuel August, den zwei Schwestern und dem heiß geliebten Bruder Gunnar. Sie erzählte von ihren Schulfreundinnen aus der nahe gelegenen Kleinstadt Vimmerby, der Pfarrersenkelin Anna-Marie und der Bankierstochter Madicken, Vorbild für die spätere Romanfigur "Madita".

Eines Abends bat Karin: "Erzähl mir von Pippi Langstrumpf." So ersann die Mutter die Geschichte jenes eigenwilligen Mädchens mit den feuerroten Haaren, das mit unglaublicher Körperkraft und Schläue gegen die Erwachsenenwelt und deren Einrichtungen rebelliert.

1945 begann die Erfolgsgeschichte

Erst drei Jahre später - Astrid Lindgren musste für einige Wochen das Bett hüten - schrieb sie die Geschichte auf. Der erste Verlag, dem sie das Buch anbot, lehnte es ab. "Ich hatte selbst kleine Kinder und stellte mir voller Entsetzen vor, was passieren würde, wenn sie sich dieses Mädchen zum Vorbild nähmen", erklärte der Verleger Gerhard Bonnier später.

1945 gewann "Pippi Langstrumpf" schließlich den Hauptpreis in einem Kinderbuchwettbewerb. Damit begann die Erfolgsgeschichte der damals 37-jährigen Astrid Lindgren. Sie lehrte ihre Leser, dass eine Gruppe nur so gut sein kann wie ihr schwächstes Glied und dass Frieden untereinander nur dann möglich ist, wenn jeder seinen Teil dazu beiträgt. Ihre Helden Pippi, Kalle, Annika, Eva-Lotte, Michel, Ole und wie sie alle heißen, sind keine Musterkinder, sondern Kinder aus Fleisch und Blut. Sie sparte auch Trauer, Grausamkeit, Einsamkeit und Aggression in ihren Werken nicht aus. Auf die Kritik, ihr Buch "Mio, mein Mio" (1954) sei zu brutal, sagte sie: "Seitdem es Märchen gibt, sind Trauer und Schrecken und Gewalt der gemeinsame Besitz von Kindern und Erwachsenen ... Erst vor kurzem ist es den Leuten in den Sinn gekommen, dass man Kinder höchstens Geschichten von Eichhörnchen aussetzen kann."

Lindgren selbst hatte in ihrem Leben zahlreiche Krisen zu bewältigen. Mit 18 Jahren wurde sie schwanger, der Vater des Kindes war verheiratet. Sie musste Näs verlassen und schlug sich als Sekretärin in Stockholm durch. Der 1926 geborene Sohn Lars lebte jahrelang in einer Pflegefamilie. 1931 heiratete sie Sture Lindgren, die gemeinsame Tochter Karin kam 1934 auf die Welt.

Nach ihren ersten Erfolgen als Schriftstellerin übernahm Lindgren in dem Verlag Rabén Sjögren die Aufgabe, eine Kinderbuchabteilung aufzubauen. Ihr Tag war streng eingeteilt: Morgens, wenn Lars und Karin in der Schule waren, schrieb sie ihre eigenen Bücher, mittags ging sie in den Verlag, den Abend verbrachte sie zu Hause. Im Laufe der Jahre entstanden so mehr als 100 Bücher, die in 26 Ländern und 76 Sprachen erschienen. Alle Exemplare zusammen würden - aneinandergelegt - dreimal um den Erdball reichen. In deutscher Sprache erscheinen ihre Bücher - längst Klassiker - im Hamburger Oetinger Verlag.

Anfang 1992 zog sich die fast erblindete Schriftstellerin aus der Öffentlichkeit zurück. Das Schreiben gab sie auf. Am 28. Januar 2002 starb sie im Alter von 94 Jahren an den Folgen einer Virusinfektion. Ihr Grab befindet sich in ihrem Heimatdorf Vimmerby.