1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Schulreform

EIL

Schulreform

26.04.2012, 03:14

Ich bin ein Vertreter der entstehenden Gemeinschaftsschule in Sachsen-Anhalt. Und inzwischen habe ich mir den Ruf eines Experten erworben, den man gern zu Rate zieht. Dabei kann auch ich mir nicht richtig vorstellen, wie so was funktionieren soll. Aber vom Gefühl her gefällt mir das und das merkt man mir auch an. Endlich Gleichstellung aller Kinder. Und Schluss mit dieser ewigen Angeberei: "Unserer geht ja ins Gymnasium!" Und manchmal wird schon in der Kinderkrippe gesagt, wer sein Abitur machen wird und wer mit Sicherheit nicht. Und dann hoffentlich auch Ende mit Aktionen wie einem Präabiball.

Auch das Unterrichtsgeschehen selbst wandelt sich. Endlich ist dieser Stress raus und Schluss mit der Zensurenjagerei. Wieder mal verschnaufen und manchmal aus dem Fenster gucken. Wieder ein Gefühl kriegen für die aktuelle Jahreszeit. Längeres gemeinsames Lernen heißt länger aus dem Fenster sehen - ein praktikables naturverbundenes Modell.

Ich stehe also für die Neuerung. Und inzwischen hält mancher mich ganz und gar für den Erfinder dieser Schulreform. Was die Gegner sofort mobil macht und gegen mich in Stellung bringt.

Auch unter den Lehrern finden sich Stänkerer. Wie meine Kollegin F. beweist.

"Langes gemeinsames Lernen kennt man", sagt sie. "Da fällt mir mein ehemaliger Schüler Bruno ein. Der hat jedes Schuljahr zweimal gemacht. Hätte der nicht geheiratet, gehörte der immer noch der Gemeinschaft der Schule an."

Die Kollegin F. hatte es sich überhaupt zur zweiten Natur gemacht, auf die Regierung und auf die Landtagsabgeordneten zu schimpfen. Besonders als im Volk bekannt wurde, dass die Diäten ruckartig erhöht werden sollten, legte sie noch zu. "Die wissen da oben doch gar nicht, was hier unten los ist", war eine ihrer Thesen. "Die Herren Minister und die Damen Abgeordneten sollen mal kommen und in der 8c unterrichten. Nur eine Stunde. Und dann können sie versuchen, dass Trixi ihre Knie von der Tischkante nimmt und ihre Chips im Ranzen lässt, anstatt sie zu verkrümeln und mit der Tüte zu rascheln. Darauf freue ich mich schon."

Beatrice, nur Trixi genannt, gehörte zu den Schülerinnen, die alle vom ersten Tag an kennen und kein Lehrer richtig verzweifelt ist, wenn sie ihre Schulzeit irgendwann hinter sich hat.

Mir selbst missfiel dieses Zetern der Frau F. gegen die da oben im Prinzip, aber plötzlich brachte sie mich auf eine Idee. Wie wäre es, wenn ich mir in der Politik unmittelbar Schützenhilfe holte, um meine Position zu stärken und ein Abgeordneter hielt ein, zwei Stunden Unterricht? Das bewies die Volksverbundenheit und zeigte, wie ernst jeder Partei die Sache war. Und sie die Gemeinschaftsschule auch richtig wollte anstatt nur auf Wählerjagd zu sein, wie F. ständig von sich gab.

Ich war von meiner Idee so angetan, dass ich zur Tat schritt und in der 8 c gleich mal vorfühlte, was sie von einem Lehrer aus der Regierung hielt. Die Klasse war nicht euphorisch, hatte aber auch nichts gegen einen solchen Unterricht. Allerdings schaute alles zu Trixi und grinste gespannt. Warum, war klar. "Und du Beatrice?", hakte auch ich vorsichtig ein. "Was hältst du von solch einem hohen Besuch?" "Weiß ich noch nicht", sagte sie. " Kommt drauf an. Wenn er in Ordnung ist!"

Meine Einladung jedenfalls ist raus. Mal sehen, wann die Antwort kommt.