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Lessingtage Serebrennikow und „Der schwarze Mönch“ in Hamburg

Nach langem Reiseverbot inszeniert der russische Starregisseur Kirill Serebrennikow persönlich am Thalia-Theater Hamburg. Im Stück geht es um Genie und Wahnsinn, um Leben und Tod und um Freiheit und Angst.

Von Ulrike Cordes, dpa 23.01.2022, 13:41
Der Schauspieler Mirco Kreibich als Andrej Kowrin und Schauspielerin Viktoria Miroschnichenko als junge Tochter Tanja.
Der Schauspieler Mirco Kreibich als Andrej Kowrin und Schauspielerin Viktoria Miroschnichenko als junge Tochter Tanja. Marcus Brandt/dpa

Hamburg (dpa) – - In Anwesenheit des russischen Regisseurs Kirill Serebrennikow hat dessen Inszenierung „Der schwarze Mönch“ am Samstagabend am Hamburger Thalia-Theater ihre Uraufführung gefeiert.

Mit minutenlangem Beifall im Stehen und vielen Bravorufen reagierte das Publikum auf das fast dreistündige Bühnenprojekt nach einer Erzählung von Anton Tschechow aus dem Jahr 1894. Damit begann zugleich das Theaterfestival Lessingtage (bis 6.2.).

Nach dieser Premiere muss der Theater-, Opern- und Filmregisseur Serebrennikow (52) sofort in seine Heimat zurückkehren. Im Jahr 2017 war er verhaftet und in Hausarrest gesetzt worden. Bei einem Prozess wegen angeblicher Veruntreuung von Geldern 2020 verurteilte man ihn zu einer dreijährigen Bewährungsstrafe mit Ausreiseverbot. Regiearbeit leistet er von seiner Wohnung aus per Videos und Zoom. Überraschend durfte er jedoch Anfang Januar ausfliegen, um die Tschechow-Proben in Hamburg persönlich fortzusetzen.

Intensiv und wirkungsstark verhandelt dort nun ein großes Ensemble aus russischen, deutschen, lettischen, amerikanischen und armenischen Künstlern Fragen nach Normalität und Wahnsinn, sozialer Anpassung und freiheitlicher Selbstverwirklichung. Und überlässt die Beantwortung jedem einzelnen Zuschauer.

Atmosphärischer Stilmix

Zu den Thalia-Stars der Aufführung, deren Proben in Moskau begonnen hatten, gehören Mirco Kreibich als Intellektueller auf Identitätssuche sowie Gabriela Maria Schmeide („Tina mobil“) als dessen spätere Ehefrau. Mit Live-Musik, Gesang, Tanz und Film entwickelt der Regisseur, der auch das Bühnenbild geschaffen hat, einen atmosphärischen Stilmix.

„Wie sollen wir leben?“ – darum kreist der Abend, an dem der seelisch erschöpfte Sinnsucher Kowrin das Landgut seines alten Ziehonkels (Bernd Grawert) und dessen Tochter Tanja besucht.

Soll man so angepasst, eigennützig und wohl deshalb oft auch schlecht gelaunt sein wie der Alte, der Obstbäume und Landarbeiter streng zurechtstutzt? Und der seine Tochter mit Kowrin verheiratet, damit nach seinem Tod ein Enkel die Geschäfte weiterführt. Oder bringt ein gewisser Wahn wie der Kowrins einen selbst und die Gesellschaft weiter? Der mittelmäßige Autor halluziniert, ein Genie zu sein. Ein schwarz gekleideter Mönch habe ihm das mitgeteilt.

Bei alledem leuchten Mond und Sterne über drei akkurat aufgestellten Gewächshäusern, die am Ende zerstört daliegen. Kowrin wird noch von Odin Biron und Philipp Awdejew verkörpert, die junge Tanja von Viktoria Miroschnitschenko.

Wie lebt man richtig?

Auch Musik spielt bei dem in Hell-Dunkel-Effekten gezeichneten, immer opernhafter und opulenter werdenden Geschehen eine große Rolle - immer wieder werden im Gewächshaus betörende Jazz- und Barklänge produziert. Mit spirituellen Gesängen markiert ein großer Mönchschor das Auf- und Untergehen der Sonne.

Am Ende des vielsprachigen vierteiligen Abends, der die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet, tanzen die geistlichen Herren mit nackten Oberkörpern furios, werfen sich auf den Boden.

„Freut Euch! Freut Euch! Freut Euch! Freut Euch!“, singen sie. Ausdruck geistiger Freiheit? „Hab' keine Angst“ – so lauten die letzten Worte Kowrins, als er an einem Blutsturz stirbt. Sein Schicksal war es, dass seine Familie ihn mit medizinischen Methoden vom Wahnsinn kuriert hat. Und damit von seinem Streben über das Mittelmaß hinaus. Was ihm blieb, war Langeweile. Aus einem an Selbstüberschätzung leidenden Künstler wurde ein Herdenmensch.

Wie man tatsächlich richtig lebt, das sagt Serebrennikow, dessen Film „Leto“ (Sommer) ebenfalls bei den Lessingtagen gezeigt wird, nicht. Bei seiner Ankunft in Hamburg Anfang des Monats hatte der Regisseur der Deutschen Presse-Agentur mitgeteilt: „"Der schwarze Mönch" ist eine Geschichte über Leben und Tod, über die Grenze zwischen Leben und Tod. Wir alle sind nun an dieser Kante – und es ist sehr wichtig, das zu wissen und das richtige Verhalten zu finden.“