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Dieter Mann liest aus Falladas "Der eiserne Gustav" Stimme zieht in die Szenen

27.09.2011, 04:27

Der letzte Satz ist gelesen. Dieter Mann hält inne, lässt den Moment nachdenklicher Stille geschehen. Dann schlägt er entschlossen die Kladde zu. Sofort setzt kräftiger Beifall ein. Seine Lesung aus Hans Falladas "Der eiserne Gustav" hat das Publikum im Magdeburger Theater "Grüne Zitadelle" begeistert.

Von Claudia Klupsch

Magdeburg. Der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt - und das am Sonntagvormittag. Der Name Dieter Mann zieht, schließlich ist er nicht nur populärer Theater- und Filmschauspieler, sondern gilt inzwischen bei Kennern als der "beste Vorleser Deutschlands".

Mann tritt pünktlich auf die Minute vor die gespannten Zuhörer, mit Sakko, ohne Krawatte. Knapp grüßend, zurückhaltend lächelnd, die Kladde unter dem Arm. Er mimt nicht den Star und setzt sich ohne Aufhebens an den Vorlesetisch auf der Bühne. Der Text in der grauen Kladde ist der Star.

Der "eiserne Gustav" geht zurück auf die reale Figur des Berliner Droschkenkutschers Gustav Hartmann (übrigens gebürtiger Magdeburger). Jener sorgte 1928 für einen Triumphzug, als er es fertigbrachte, mit Pferd und Wagen von Berlin nach Paris und zurück zu reisen. Hans Falladas Roman von 1938 erzählt die Geschichte einer auseinanderbrechenden Familie vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg, zeigt das Berlin jener Jahre, das Leben der kleinen Leute.

Dieter Mann konzentriert sich in seiner Lesung auf die Figur des eisernen Gustav, obwohl sie im Roman hinter den Schicksalen seiner fünf Kinder zurücksteht. Die vom Vorleser ausgewählten Szenen charakterisieren den "eisernen Gustav" wie er leibt und lebt, wie er eisern Regiment in Fuhrbetrieb und Familie führt, starrköpfig und dennoch aufrichtig, autoritär und dennoch nicht ohne Herz. Die Kinder haben zu parieren und entgleiten ihm trotz aller Strenge. Die schlimmen Zeiten nehmen ihm den Besitz. Doch der eiserne Gustav bleibt eisern.

Der Vorleser zieht mit seiner unverkennbaren Stimme in die Szenen hinein – etwa in den Krach mit dem stehlenden Sohn oder in das turbulente "Wettrennen" zwischen Droschke und Automobil. Dieter Mann versteht es, die Figuren mit seiner Stimme zu charakterisieren – den aufmüpfigen Sohn, den gütigen Geheimrat, die schnoddrigen Kutscher, den fetten Schieber von Sohn. Die kraftvolle, souverän beschreibende Sprache Falladas und die stimmliche Variabilität Manns lassen in Atmosphäre und Milieu eintauchen, lassen dabei sein, wenn die Masse die Mobilmachung feiert und wenige Jahre später Berlin in Grau und Trostlosigkeit versunken ist.

Der trotz der bitteren Geschichte reich vorhandene Falladasche Humor geht nicht verloren. Die Sätze im Berliner Dialekt liest Dieter Mann scheinbar genüsslich ("Ick möchte nun wieder als Justav leben.").

Der Vorleser schafft es, Sympathie für den Alten, der sich am Ende aus Trotz auf die Reise nach Paris macht, mehr und mehr wachsen zu lassen – für den Eisernen, der sich nie hat brechen lassen.