Kulturhauptstadt 2024 Tartu feiert die Kunst des Überlebens
Die zweitgrößte Stadt Estlands wird im kommenden Jahr Europäische Kulturhauptstadt.Es gibt Literatur, Musik und Natur - sowie ein „Massenküssen“.

Tartu - Die estnische Kulturhauptstadt Tartu wirbt auf Kino-Leinwänden für das Titeljahr 2024: Mit dem preisgekrönten Dokumentarspielfilm „Smoke Sauna Sisterhood“ (Die Rauchsauna-Schwesternschaft) von Anna Hints, der intime Einblicke in das heutige Leben estnischer Frauen gibt. Deutschlandstart ist der 23. November 2023.
So sollten Tartu-Gäste schon mal bestens auf den Besuch in der mit knapp 100 000 Einwohnern zweitgrößten estnischen Stadt an der Südgrenze des Landes eingestimmt sein oder andere sich zum Besuch anregen lassen.
Das hoffen jedenfalls die Kulturhauptstadt-Macher. Wie Kaida-Lisa Kivisalu vom Organisationsbüro, die mächtig stolz darauf ist, dass ihre Stadt für ein Jahr den europäischen Titel trägt. Freilich nicht allein, sondern gemeinsam mit Bad Ischl (Österreich) Bodø (Norwegen).
In Tartu wurde nach der Entscheidung 2019 gleich programmatisch losgelegt, berichtet Kaida-Lisa. Das Motto „Arts of Survival“ (Überlebenskünste) bekam durch den Krieg, den Estlands Nachbar Russland inzwischen gegen die Ukraine entfesselte und die Corona-Pandemie einen bedrückend-realen Inhalt.
Studentischer Schwung
Wovon sich die Esten aber nicht niederdrücken lassen wollen. Ihre Stadt will Leben und Kultur zwölf Monate lang hochleben lassen. Daran werden die 14 000 Studenten der hiesigen Universität, die Estlands größte und älteste ist, mit jugendlichem Schwung einen gehörigen Anteil haben.
Tartu liegt am Emajõgi („Mutterfluss“, zu deutsch Embach), trug früher den deutschen Namen Dorpat und war vom 13. Jahrhundert an eine Hansestadt. Seit dem 17. Jahrhundert gehörte die Stadt zu Russland und teilte später das Schicksal Estlands als unabhängiger Staat zwischen den Weltkriegen und dann wie das gesamte Baltikum von der Sowjetunion besetzt.
Viele historische Gebäude sind erhalten geblieben oder nach Kriegszerstörungen wiederaufgebaut worden. Die gotische Johanniskirche, ein Backsteinbau aus dem 14. Jahrhundert, ragt dabei hervor. Tartu hat Theater, Oper und Ballett ebenso wie Club-Kultur. Die Stadt beherbergt auch das Estnische Nationalmuseum. Kaidi-Lisa Kivisalu ist mehr beim Heutigen.
Am 26. Januar startet das Kulturhauptstadt-Programm mit rund 1000 Veranstaltungen in Tartu und Südestland offiziell. Als ganz große Aktion ist das „Massenküssen“ auf dem Stadtplatz gedacht. Die Idee wurde abgeleitet vom Brunnen der küssenden Studenten unterm Regenschirm auf dem Platz. Im August wird den heidnischen Traditionen aus verschiedenen Gegenden Estlands auf dem Liederfestgelände gehuldigt. Es wird ein Naturfestival geben, das tiefer in die Zusammenhänge zwischen Natur und Kultur im urbanen Raum eintauchen wird und Freude an von der natur-inspirierten Werken gegen wird.
„Zukunft besser und schlechter“ heißt zudem ein Literaturfestival, das sich in mit Utopien und Dystopien auseinandersetzt. Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler und Kulturbegeisterte zusammenbringen, um Ängste und Hoffnungen für unsere Zukunft vielfältig abzubilden und zu entschlüsseln. Auch das Publikum kann sich aktiv beteiligen.
Deutsche willkommen
Rund eine Million Besucher erhofft sich Tartu im kommenden Jahr, neben den Einheimischen Gäste besonders aus Finnland, Deutschland und Lettland. Das benachbarte Russland sollte auch ein Zielland sein, Das entfällt nun durch den Krieg. „Es gibt keine Zusammenarbeit“, sagt Kaidi-Lisa. Dafür soll die Community der ukrainischen Flüchtlinge vom ins Kultur-Geschehen einbezogen werden.
Damit der Besucherstrom bewältigt wird, soll der Bus-Pendelverkehr zwischen Tallin und Tartu deutlich ausgebaut werden. Und die Tartuer arbeiten daran, dass die Finnen von Helsinki aus auch mit dem Flugzeug einschweben können.
