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Theater Durch die Wirren der Revolution

Das Theater Magdeburg zeigt mit der Uraufführung "Karl und Rosa" ein Nachdenken über Deutschland im Taumel der Novemberrevolution 1918.

Von Gisela Begrich 24.02.2019, 23:01

Magdeburg l Die zeitgenössische dramatische Literatur schreitet zunehmend daher wie die zeitgenössische sinfonische Musik oder die bildende Kunst. Einen großen Kreis von Rezipienten erwartet man nicht mehr. Man erhofft ihn.

„Karl und Rosa. Für Geister Eintritt frei“ ist eine Dramatisierung von Felicia Zeller nach Momenten aus dem Epos „November 1918“ von Alfred Döblin. Sie bietet keine realistische Darstellung, sondern artifiziellen Reichtum und verbale Finesse. Die Zuschauer im Studio des Schauspielhauses müssen sich aus einem überbordenden Angebot von Träumen, Empfindungen, Halluzinationen, Fiebererscheinungen, wundersamen und -schönen Beschreibungen von Zuständen und Gefühlen das heraussuchen, was, wenn sie dies überhaupt im Sinn haben, zu ihrem Bild von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht passt. Oder zu dieser Revolution von damals im Januar 1919. Die Besucher sind gefordert, sich ihr ganz eigenes Geschichtsbild zu entwerfen.

Im Programmheft informiert das Theater, dass Felicia Zeller mit ihrer Überschreibung des Monumentalwerkes von Döblin einen multiperspektiven Rausch durch die Wirren der Revolutionstage schafft. Dies erfüllt die Inszenierung nahezu großartig. Sie zeichnet einerseits eine große Entfremdung zum Gegenstand aus, der zerfleddert und verschwimmt, und andererseits eine überraschende Nähe zur Gegenwart, wenn sich die Schauspieler direkt ans Publikum wenden, um Zustimmung zu erhalten. Aber es gibt wenig Resonanz. Natürlich, die Uhr ist abgelaufen: Eine Sentenz der Luxemburg wie „Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit …“ entfaltet keine solche Sprengkraft mehr wie vor 30 Jahren, wenn ein Stephan Krawczyk diese Worte in seinen Programmen zitierte, und die DDR erzitterte.

Der Regisseurin Marie Bues gelingt es über sehr weite Strecken einen Flow zu erzeugen, der das Publikum in die Zerklüftung der Auseinandersetzungen fesselt, wo immer auch ein Hauch Ratlosigkeit jegliche historische Deutungshoheit bestreitet. Es entwickelt sich ein Sog der Ereignisse, den besondere schauspielerische Repliken stabilisieren: Christoph Förster in seinem Monolog als Gefängnisarzt. Oder wenn Oliver Niemeier als Scheidemann die Republik ausruft und dabei herrlich mit dem Charakter der Figur privatisiert. Björn Jacobsen besitzt einen solchen Augenblick als Kieler Matrose. Marie Ulbricht verfügt reichlich über solche Momente als Friedrich Ebert.

Ansonsten dominiert der Wechsel von einer Person der Zeitgeschichte in eine andere, nur Monika Wiedemer darf länger in der Figur der Rosa Luxemburg agieren. Was sich als ein mehr als prekäres Terrain entpuppt.

Indra Nauck erfand für die zwei Damen und drei Herren eine Gewandung, die Vielfaches assoziiert: Militär, Häftlingskluft, Handwerker des Umsturzes, Staatsführungen unter Stalin und Mao. Revolution und Konterrevolution tragen Uniform.

Das Bühnenbild von Heike Mondschein dominieren bewegliche Metallrostmodule. Die Schauspieler verschieben sie mehrfach, um die Szene neu zu verorten. Da eskaliert Kunst zu Arbeit. Da entfaltet sich ein Bild der Ver- und Gefangenheit in der jeweiligen Zeit des Handelns.

Alle Akteure liefern eine beeindruckende choreographische, sprachliche und spielerische Leistung ab, die dennoch nicht hinreicht, die Spannung im letzten Viertel des zweistündigen Abends ohne Pause auf einem hohen Level zu halten. Da bekommt der Spannungsbogen Dellen ab, weil das Wohlgefallen am eigenen Formulierungswillen (Döblin, Zeller oder Bues?) den schmalen Grat zwischen Kunst und Geschwätz offenbart. Das beschädigt aber nicht die Inszenierung für all die, die sich für Politik und Geschichte interessieren und Theater lieben.

Weitere Vorstellungen im Studio sind am 2. und 16. März (ausverkauft) sowie am 19. April, 4. Mai und 9. Juni, jeweils 19.30 Uhr.