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Theater Nur die Liebe ist stärker als der Tod

Verwirrend-amüsantes Sommerspiel um Romeo und Julia hatte im Theater an der Angel in Magdeburg Premiere.

Von Rolf-Dietmar Schmidt 08.06.2018, 05:42

Magdeburg l Da war noch einer, der dem weltberühmten Vielschreiber aus Stratford-upon-Avon etwas hinzufügte, nämlich Ephraim Kishon. Er lieferte mit seinem „Es war die Lerche“ die Inspirations-Vorlage, der Ines Lacroix, Matthias Engel und als Schauspielgast Michael Magel amüsante, freche, vor allem aber höchst wechselvolle Intentionen zwischen tiefen philosophischen Einsichten und überschäumendem Sommerspektakel verliehen. Genau das richtige Rezept für eine schwül-heiße Nacht, sofern man zwischen einer Lerche und einer Nachtigall – die erste Meinungsverschiedenheit des Liebespaars Romeo und Julia – sicher unterscheiden kann.

Oliver Breite, aus zahllosen Fernsehkrimis bekannter Schauspieler, hat mit viel Liebe zum Detail die Regie geführt. Entstanden ist eine außerordentlich feinsinnige Inszenierung mit viel Humor, aber auch tiefen Einsichten in die Abgründe der menschlichen Seele.

Doch bevor man in die eintauchen kann, präsentieren die Angler vor ihren Sommerstücken jeweils an unterschiedlichen Spielorten im weiträumigen Garten oder in der Orangerie eine sehr spezielle Einstimmung in das eigentliche Thema. Das hat schon Tradition und versetzt das Publikum genau in die Sommerabendstimmung, die den Genuss an der Spielfreude und den verzwickten Geschehnissen auf der Bühne so eindringlich macht. So sangen die Zuschauer themengerecht voller Inbrunst in der Orangerie gemeinsam mit Michael Magel „Love Hurts“ von Nazareth – Liebe verletzt, Liebe erschreckt –, während andere Zuschauer zusammen mit Ines Lacroix als Richard III. im Kampfgetümmel mit Nebel niedergestreckt wurden. Doch keine Angst, es gab keine Verletzten. Alles nur Theaterdonner, aber von der allerfeinsten Sorte.

In der Villa selbst eröffnete sich dann eine kreisrunde Spielstätte mit absenkbarem Baldachin in der Mitte des Theaterraums. Eine verblüffende Ausstattungsidee (Bühnenbau Lutz Kohlepp), die auf rund zwei Metern Durchmesser alles besitzt, was eine große Bühne braucht: Schlafzimmer, Küche oder Ort großer Auftritte, und davon gibt es jede Menge.

Immerhin haben sich die Protagonisten Romeo und Julia aus den Fängen ihres literarischen Schöpfers gelöst, sind nicht dem irrtümlichen Gifttod der Shakespearischen Variante gefolgt, sondern haben ihn überlistet.

Doch was ist aus der übergroßen Liebe geworden? Alltag, Frust über die verloren gegangenen Gefühle, ja schließlich Wut und Hass. Hinzu kommt eine missratene Tochter, die ihre Eltern verachtet. Auch ein ältlicher lüsterner Pfarrer kommt noch ins Spiel, der die beiden einst getraut hat und nun dafür verantwortlich gemacht wird, dass alles schiefgegangen ist.

Alle diese Rollen werden von Ines Lacroix und Matthias Engel gespielt, die in den wechselnden Kostümen wohl schon allein beim beständigen Umziehen Schwerstarbeit leisten.

Die ungeplante Entwicklung des Stücks ruft natürlich den Dichter von Romeo und Julia auf den Plan, der solche Entgleisungen gar nicht gern sieht. Gespielt wird er von Michael Magel, der in dieser Rolle grandios agiert, einen wirklich überzeugenden Shakespeare gibt und selbst beim Zweifel, ob er denn die Stücke selbst geschrieben habe, souverän mit seinem zweiten Ich, dem Double seiner selbst, und der scheinbaren Unsinnigkeit der Frage nach Sein oder Nichtsein alles offen hält.

Doch den Zwist zwischen dem gealterten und ehemüden Paar Romeo und Julia vermag er nicht aufzulösen. Allerdings gebietet die Dichterehre, den Schluss zu bestimmen.

Sein Erscheinen bringt allerdings nicht nur die Literaturgeschichte durcheinander, denn blitzartig, schon beim ersten Ansehen, kommt es zur „Zähmung der Widerspenstigen“ durch die Liebe. Diese Analogie steht vermutlich nicht in der Regieanweisung, bietet sich aber an.

Gleich wie: Der auferstandene Shakespeare und die jetzt ganz milde Tochter verlieben sich und fliehen dichtungsgemäß. Doch vorher hat der Mann der Feder noch seinen Gifttrank ins Spiel gebracht, um doch noch seinen Schluss durchzusetzen. Und das scheint auch zu funktionieren, wenn, ja wenn nicht „Aki“ Rüther, der gute Geist des Theaters an der Angel, aus Sparsamkeitsgründen das Gift durch Himbeersaft ersetzt hätte.

Und so endet alles gut, und eine einträgliche Erbschaft kommt auch noch dazu. Die, und die fast zu späte Erkenntnis, den nur noch glimmenden Liebesfunken wieder zu entfachen, widerlegen Shakespeare höchst sarkastisch: Nicht der frühe Tod erhält die ewige Liebe, sondern nur die Liebe ist stärker als der Tod.