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Neu im Kino DiCaprio in einem wilden Epos: „One Battle After Another“

Regie-Star Paul Thomas Anderson hat einen neuen Kinofilm gedreht. Mit Leonardo DiCaprio und Sean Penn in den Hauptrollen erzählt er politisch brisant und wuchtig von dem Leben in politischen Extremen.

Von Jonas-Erik Schmidt, dpa 25.09.2025, 07:00
Leonardo diCaprio spielt in „One Battle After Another“ einen abgehalfterten Revolutionär. (Handout)
Leonardo diCaprio spielt in „One Battle After Another“ einen abgehalfterten Revolutionär. (Handout) -/Photo Courtesy Warner Bros. /dpa

Köln - Der amerikanische Filmemacher Paul Thomas Anderson („Magnolia“) gilt nicht gerade als Fließbandregisseur. Wenn er etwas macht, lässt er sich durchaus Zeit - so auch bei seinem neuen Werk „One Battle After Another“. Vor 20 Jahren habe er angefangen, an der Geschichte für den Film zu arbeiten, berichtet der Cineasten-Liebling. Das Wissen um dieses großzügige Zeit-Budget im Kopf fällt der Schauer umso ausgeprägter aus, der sich während der rund zweieinhalb Stunden im Kino-Sessel einstellt. Der Film wirkt beängstigend aktuell - wie ein Echtzeit-Kommentar zum Amerika des Donald Trumps.

Mit einem Star-Aufgebot rund um Leonardo DiCaprio, Sean Penn und Benicio Del Toro erzählt Anderson über Generationen hinweg die Geschichte militanter linker Aktivisten, die sich als revolutionäre Bewegung begreifen, angeführt vor allem von selbstbewussten schwarzen Frauen. In einer autoritären, von Rassisten durchsetzten Gesellschaft machen sie gegen Abtreibungsverbote mobil und - da wird es nun interessant - fordern freie Grenzen.

Gleich in der Eröffnungsszene stürmt der Revoluzzer-Trupp ein US-Lager an der mexikanischen Grenze und befreit dort eingesperrte Migranten. Man muss nicht viel über Trumps Migrationspolitik („Ich werde Truppen an die Südgrenze der USA entsenden, um die katastrophale Invasion in unser Land abzuwehren“) wissen, um Andersons Bilder mit der aktuellen politischen Großwetterlage in Verbindung zu bringen.

Babyflasche statt Revolution

Das Erstaunliche ist, dass der Regisseur es gar nicht unbedingt darauf anlegt. Im Kern erzählt er in einem wilden Verquirlen aus Action-, Komödien- und Drama-Elementen eine Familiengeschichte.

DiCaprio spielt darin mit fettigen Haaren den arg heruntergerockten Revolutionär Bob. Für die Aktivisten-Gruppe hat er einst an Sprengsätzen getüftelt. Vor allem aber war er mit einer ihrer Vorkämpferinnen zusammen, genannt Perfidia - und faszinierend gespielt von Teyana Taylor. Als Perfidia ein Kind bekommt, trennen sich die Wege. Sie entscheidet sich für Weltrevolution, er für Windeln. Als eine Aktion der RAF-ähnlichen Gruppe fürchterlich eskaliert und Perfidia geschnappt wird, taucht Bob irgendwo in den Weiten Amerikas unter und beginnt eine jahrzehntelange Existenz zwischen Alkohol, Paranoia und väterlichen Sorgen.

Die Vergangenheit holt ihn ein, als plötzlich ein alter Erzfeind beginnt, auf ihn Jagd zu machen. Colonel Steven J. Lockjaw - gespielt von Sean Penn - war einst im Dienst, als die linke Truppe das Migranten-Lager nahe Mexiko aufbrach. Aus der Demütigung entwickelte sich bei ihm eine seltsame, auch sexuell konnotierte Besessenheit von Bobs Ex-Freundin Perfidia. Überhaupt kann man sagen, dass der Film viel Spice hat, wie man neudeutsch sagt. Sex spielt eine gewichtige Rolle. Ein alter Gedanke: Das Private ist politisch.

Zwischen Weihnachten und Rassistenkumpanei

Vor allem Penn läuft zur Hochform auf und spielt seinen Colonel wie einen G.I. Joe aus Steroiden. Mit bizarr muskulösen Oberarmen, Bürstenschnitt und Kühlschrank-Gang versucht er, den Lauf der Dinge in seinem Sinne zu beeinflussen. Eigentlich eine Witzfigur, kann er gesellschaftlich schnell aufsteigen, auch aufgrund eines sinistren Männerbundes, der einerseits eine seltsame Faszination für süßliche Weihnachtstraditionen hegt („Christmas Adventurers Club“), andererseits aus beinharten Rassisten besteht.

Aus den vielen Themen (Politik, Familie, Sex, Religion, Fanatismus, Paranoia, Überwachung) und Genres (Drama, Action, Satire) entwickelt Anderson einen kaum einsortierbaren, aber vielschichtigen und wuchtigen Film mit herausragenden Schauspielern, dem man einzig vorwerfen kann, dass er sich an seinen starken Bildern selbst berauscht und eine Stunde zu lang geraten ist.

Anderson wollte sich auf Zeitloses fokussieren

Es wäre auch falsch zu sagen, dass er sich politisch ganz auf eine Seite schlägt. Vielmehr zeigt „One Battle After Another“ - was ein bisschen klingt wie der steinalte Fußballer-Spruch „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ - die Absurditäten politischer Extreme. Nicht nur die Rassisten des Weihnachtsclubs wirken lächerlich, auch die fast mit behördlichem Ernst geführte Revolutionsgruppe, die irgendwann zu vergessen scheint, dass es um Menschen geht.

Anderson selbst behauptet, dass er das aktuelle Weltgeschehen nur schwerlich überblicke und daher eher zeitlos erzählen wollte. Das Ende gerät - ohne zu viel zu verraten - fast schon obszön kitschig und unglaubwürdig. Aber auch irgendwie ermutigend, denn verloren ist erst einmal nichts. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel - das gilt hoffentlich auch für den Weltenlauf.