Die Romanows
Viel, sehr viel ist bereits geschrieben worden über die russische Zarenfamilie und ihre Ermordung. Nun blickt eine Dokumentation noch einmal auf den Einfluss der Familie der Romanows zurück.
Berlin (dpa) - Mit dem Verstand ist Russland nicht zu begreifen. Es ist nicht mit einer Elle zu messen, und es hat etwas ganz eigenes. An Russland kann man nur glauben.
Mit diesen markigen Worten - die der junge Dichter Fjodor Iwanowitsch Tjuttschew im Jahre 1866 zumindest dem Sinn nach gesagt haben soll - beginnt die neue Dokumentation Die Romanows - Glanz und Untergang des Zarenreichs, die am Karsamstag (20.15 Uhr, Arte) zu sehen ist. Im Rahmen eines Themenschwerpunktes Zu Ostern in Russland folgt um 21.40 Uhr die Dokumentation Iwan der Schreckliche von Peter Moers, die sich mit Zar Iwan IV. (1530 bis 1584) beschäftigt.
Der Befehl zur Ermordung der Zarenfamilie in Jekaterinburg am 16. Juli 1918 kam direkt aus Moskau. Darin hieß es, die Mitglieder der Familie einzeln ins Visier zu nehmen, ihnen möglichst direkt ins Herz zu schießen und die Sache also so rasch es ging und ohne großes Blutvergießen zu erledigen. Das ist wohl auch weitgehend genauso geschehen, wie Historiker wie Irina Schtscherbakowa mittlerweile meinen erklären zu können - samt der Vorgeschichte, die zu der blutigen Tat geführt hat. Sie sagt im Film: Der letzte Zar hat einfach das Rauschen der Zeit nicht gehört. Das ist sicher verkürzt wiedergegeben, und ein hinreichender Grund für seine brutale Ermordung ist es wohl auch nicht.
Viel Erhellendes dazu kommt von den beiden Autoren des Films, Eva Gerberding und André Schäfer, leider auch nicht. Vielmehr spannen sie einen weiten Bogen, der seinen Anfang vor mehr als 400 Jahren nimmt, am 11. Juli 1613: An jenem Tage bestieg in Moskau ein junger Mann aus dem Geschlecht der Romanows den russischen Thron, Michael Romanow (1596 bis 1645). Seitdem beeinflussen Machtinstinkt und Machterhalt dieser Familie nahezu sämtliche Regenten und Präsidenten Russlands - von Michael I. über Peter den Großen, Katharina die Große und den letzten Zar Nikolaus II. bis hin zu Wladimir Putin.
Der Regisseur Alexander Sokurow und der Schriftsteller Viktor Jerofejew stellen sich der Frage, ob der letzte Zar der Romanows das Land überhaupt hätte retten können (wohl eher nicht) und erläutern, dass es in Russland schon immer eine gewisse Form des Bürgerkriegs gegeben habe und dass der überwiegende Teil der russischen Gesellschaft noch heute nach traditionellen und archaischen Maßstäben lebe. Paul Kulikovsky ist ein Ur-Urenkel von Zar Alexander III., lebt heute in Dänemark und erzählt - gemeinsam mit seiner Frau Ljudmila - viel Faszinierendes über seine mittelalterlichen Vorfahren der Bojaren, dem russischen Adelsstand unterhalb des Ranges eines Fürsten oder Zaren.
Drei Fäden liefen schon damals und auch später stets zusammen: die Religion, ein riesiges Land samt unfassbarer Weite und das Klima, das von vielen Extremen wie Hitze und Eiseskälte geprägt war und ist. Der russischen Kultur, insbesondere der Musik, der Malerei und der Schriftstellerei, wird breiter Raum gewidmet. Wie stark der Einfluss der Romanows noch bis in die russische Kultur der Gegenwart reicht, zeigen Szenen mit der angesagten Modedesignerin Tatyana Parfionova aus St. Petersburg, die eine Hofdamen-Kollektion kreiert hat, und dem Starkoch Anatoly Komm in Moskau.
Er sagt: Was die Zaren einst gegessen haben, würde heute kein Bauer mehr essen. Dennoch bereitet er mit einem Romanow-Menü zwei alte Rezepte des Zaren wieder auf, mit geschickt drapierter Rote Beete. Eine Stadthistorikerin erläutert sehr umfangreich, wie St. Petersburg auf Sand gebaut wurde, samt seiner Festung Peter und Paul, in der sich heute in einer Seitenkapelle das Prunkgrab von Peter dem Großen und seiner Familie befindet, die mittlerweile von der russischen Kirche heilig gesprochen worden ist.
Pompöse Musik, wuchtige und stimmungsvolle Bilder - aus dem überwiegend winterlichen Moskau und dem überwiegend sommerlichen St. Petersburg - und einzeln hineingestreute Animationen über zeitgeschichtliche Ereignisse (als es noch keine Fotografen gab) zeichnen ein eher geschöntes Bild der Geschichte dieser Städte und natürlich des Kreml, dem Machtzentrum des Landes, in dem alle Fäden des Landes zusammenlaufen.
Viele Zeitsprünge und so mancher banale Kommentar aus dem Off machen die Dokumentation in Spielfilmlänge für manchen Zuschauer am Samstagabend sicher zu einer anstrengenden Angelegenheit. So dramatisch das Ende der letzten Zarenfamilie auch gewesen ist, umso deutlicher wird bei aller Verklärung auch: Sie hat ihr riesiges Reich stets mit brutaler Gewalt unterdrückt, und ist am Ende wohl genau daran gescheitert.