Für "Geschlossene Gesellschaft" haben ARD-Autorinnen Betroffene und Verantwortliche interviewt Vom großen Leid an der Odenwaldschule
Berlin (dpa). Im März 2010 sorgte die Odenwaldschule in Heppenheim für bundesweite Schlagzeilen. Mehrere Lehrer und der ehemalige Schulleiter Gerold Becker, inzwischen gestorben, hatten zwischen 1965 und 1985 laut Abschlussbericht vom Dezember 2010 115 Jungen und 17 Mädchen zwischen 11 und 14 Jahren missbraucht. Die Aufarbeitung der Delikte war über Jahre verschleppt worden. Nur langsam sickerte die Wahrheit durch. Die ARD-Autorinnen Regina Schilling und Luzia Schmid haben für ihren Film "Geschlossene Gesellschaft", der heute um 22.45 Uhr zu sehen ist, Betroffene und Verantwortliche interviewt.
Die meist lange zurückliegenden sexuellen Übergriffe hätten System gehabt, viele Schüler seien mit Repressalien "weichgeklopft" worden, hieß es im Bericht. Schulleitungen hätten versagt, Eltern nicht richtig reagiert. Manche Opfer könnten erst heute unter großen Mühen über ihr Leid berichten. Die beiden Autorinnen haben einen ehemaligen Schüler vors Mikrofon bekommen, gaben ihm ein Pseudonym, weil er nicht erkannt werden will. Außerdem kommen zu Wort: Wolfgang Harder, ehemaliger Schulleiter und Nachfolger von Gerold Becker, Benita Daublebsky, ehemaliges Vorstandsmitglied, Wolfgang Edelstein, ehemaliger Lehrer und emeritierter Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung.
Die Autorinnen filmten laut ARD bereits vor der großen Enthüllung, als erste Aufklärungsgespräche zwischen der Schule und Betroffenen stattfanden. Sie drehten auf der 100-Jahr-Feier der Schule im Sommer 2010, als die Veranstaltung "Wahrheit. Ein Hearing" abgehalten wurde, in der Betroffene auf Lehrer trafen, die wussten, was an ihrer Schule passiert war und die trotzdem nicht redeten. So ist der Film nach ARD-Angaben "auch ein Dokument menschlichen Versagens – und des kolossalen Scheiterns der Erzieher am eigenen Ideal".
Dem ehemaligen Schulleiter Becker wurde in 90 Fällen Missbrauch nachgewiesen. Gegen ein Dutzend Lehrer wurde ermittelt. Doch die meisten Fälle sind verjährt. Die Juristen sprachen sich bei der Vorstellung des Abschlussberichts für eine deutliche Verlängerung der Verjährungsfrist aus. Sie liegt heute in schweren Fällen bei zehn Jahren. In der jüngsten Vergangenheit hatte die Reformschule heftige Turbulenzen erlebt. Es gab Streit und Rücktritte im Vorstand, unter anderem wegen der Frage, wie die Opfer entschädigt werden sollen.