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Figurentheaterfestival "Blickwechsel" Von Geschichten und Prügeleien

Eine schmale Pforte, die sich erst Punkt elf Uhr öffnete, mussten die
zahlreichen großen und kleinen Besucher passieren, um zum Familientag
des Figurentheaterfestivals "Blickwechsel" zu gelangen.

Von Kathrin Singer 24.06.2014, 01:26

Magdeburg l Der großen Eröffnung "la notte" folgte am Sonntag erstmals ein Angebot für die ganze Familie. Und auch wer im Vorfeld keines der begehrten Tickets für die vier Inszenierungen des Tages ergattert hatte, konnte dennoch eine Menge erleben.

Eine Festtafel als Bestuhlung

In die Welt des Dichters Hans Christian Andersen entführte die vielfach preisgekrönte "gruppe 38" aus dem dänischen Århus. Ausgesprochen charmant komplimentierten zwei Kellner (Bodil Alling und Joakim Eggert) in dieser Inszenierung das Publikum in den großen Saal, in dem statt Bestuhlung eine überdimensionale Festtafel auf das Geburtstagskind Andersen wartete.

Die allerdings hatte es in sich: Es wimmelte nur so von beweglichen Miniaturobjekten, Lichtern, Dämpfen, verblüffenden Projektionen, Geräuschen, Düften. Nahezu alle bekannten Figuren aus Andersens Märchen waren imaginär anwesend, jede belegte eines der liebevoll arrangierten Gedecke und wurde von den beiden herumwirbelnden Kellnern zum Leben erweckt.

Däumelinchen schwamm auf einem Teller, an den Schneemann erinnerten Eisplatte, Möhre und Schal, eine Streichholzschachtel und Theaterschnee an das Mädchen mit den Schwefelhölzern. Immer gegenwärtig am Tisch saß der Tod, das hässliche Entlein findet zunächst keinen Platz.

Solch ein Theater für alle Sinne, Zuschauer jeden Alters, bei dem Heiterkeit und Melancholie sich anrührend die Waage halten, bei dem die (englische) Sprache am Ende keine Rolle mehr spielt, ist wahrhaft selten zu erleben und eine große Entdeckung des Festivals.

Im Hof dann das Kontrastprogramm: handfestes traditionelles Handpuppentheater des Neapolitaners Gianluca di Matteo. Der Kasperl heißt Pulcinella, kreischt einen neapolitanischen Pseudodialekt und liefert sich, sehr zum Vergnügen vor allem der kleinsten Zuschauer, filmreife Prügelszenen mit seinen Kontrahenten.

Charmante Maler aus Paris gekommen

Außerdem Straßentheater für Groß und Klein, darunter die Bezahlkasper, die nur nach Münzeinwurf spielen, ein charmanter, aber etwas schusseliger Pariser Maler, Dorothee Metz stets dicht umlagertes Kinderwagen-Theater, und - teilweise nur nach Wartezeiten zu entdecken - etlichen Installationen auf dem gesamten Areal des Puppentheaters.

Passend zum Stück, also etwas außer der Welt gelegen im Werk 4, gab es poetisches französisches Objekttheater mit dem "vélo théâtre". Der kauzige Nächte-Sammler Thomas Snout zeigte hier dem in Pyjamas gehüllte Publikum geheimnisvolle Seiten der Nacht auf und ließ es am Ende eigene Ur-Ängste in einem Posaunenkasten-Sarg einfach beerdigen. Grandios!