Premiere von "Der Besuch der alten Dame" von Friedrich Dürrenmatt am Anhaltischen Theater in Dessau Wenn das Geld vom Tun und vom Denken Besitz ergreift
Dessau-Roßlau l Sie hat eigentlich gar nicht viel von einer "alten Dame", mehr Glamour, ist weltfrauisch. Und das Güllen als Friedrich Dürrenmatts Original-Schauplatz dieser tragischen Komödie ist in der Dessauer Inszenierung von Reinhard Göber ganz klar und direkt das Dessau von heute.
Optisch nimmt das spartanische Bühnenbild (Ariane Salzbrunn) mit oft verschobenen großen Kuben Bezug auf die Bauhausstadt. So wie einst das Städtchen Güllen vollständig bankrott war, skandieren an realen Beispielen die Protagonisten, was und wie in dieser Stadt "den Bach runterging, runter zu gehen droht".
Viele Züge halten gar nicht mehr, rauschen einfach durch, auch ein Stückchen Untergang. Es fehlt eben überall Geld. Doch ein Goldstreif, auch im Bühnenbild kurz symbolisiert, zeigt sich am Dessauer Finanzhimmel. Denn die inzwischen milliardenschwere Claire Zachanassian, früher als Klara Wäscher bekannt, hat ihren Besuch angesagt.
Die Honoratioren der Stadt werfen sich ihr im übertragenen Sinn "zu Füßen", schönen deren Biografie - einen reichen Geldsegen erhoffend. Wer da schon nachdenkt, könnte vielfach aktuelle Beispiele dieser Art finden. Denn: Güllen ist hier und heute, das Thema ist ebenso brisant wie einst bei der Uraufführung 1956.
Doch es soll noch schlimmer, viel schlimmer kommen. Denn "unsere Klara", sehr lebensnah in einer teils erschreckenden Mischung von Mondänität und Eiseskälte von Antje Weber dargestellt, hat anderes im Sinn. Als sie anreist, zieht sie einen schwarzen Sarg hinter sich her. Einen leeren, einen noch leeren.
Sie möchte Rache. Ihr Angebot: eine Milliarde Euro, je zur Hälfte für die Stadt und für die Bürger - gegen Gerechtigkeit. Großer Jubel: Dessau ist gerettet, jeder einzelne wird auch profitieren. Doch dann kommt Claires Bedingung: Diese eine Milliarde für den Tod von Alfred Ill. Der, inzwischen angesehener Bürger, kommender Bürgermeisterkandidat, hatte Klara einst geschwängert, sie mit gekauften Zeugen an die Stasi verraten, damit ihr Leben zerstört. Norbert Stöß als Gast vom Berliner Ensemble spielt Ills inneren Entwicklungsprozess eindrucksvoll und mit großer Subtilität.
Claires Angebot weist der Bürgermeister (Hans-Jürgen Müller-Hohensee) namens seiner Stadt empört aufs Schärfste zurück. Für Alfred Ill liegt außerdem alles so weit zurück.
Hier hätte die Story eigentlich zu Ende sein können. Doch da beginnt die Macht des Geldes zu wirken. "Mit Geld kann man alles kaufen", bringt es die "alte Dame" auf den Punkt. Sie selbst hat die beiden Falschzeugen geblendet, sich den Richter "gekauft".
Was kostet die Welt, was kostet ein Mensch? Schaut man sich in der Welt um, wird für viel weniger getötet, verändert Geld den Charakter.
Dass das vielleicht langsam, aber scheinbar schleichend unaufhaltsam geht, lässt Reinhard Göber die Zuschauer der gut besuchten Premiere eindringlich erleben. Es wird spannend an Handlung und Denken der einzelnen unterschiedlichen Charaktere erzählt wie, hier stellvertretend die Dessauer, ihre Empörung peu à peu verlieren und das Geld mehr und mehr von ihrem Tun und Denken Besitz ergreift.
Da wird auf Teufel komm raus auf Kredit gekauft. Gelbe neue Schuhe bei den anderen sind für Alfred Ill erstes Zeichen in Folge der zunehmenden Veränderung.
Der Schuss fällt aus dem Nichts. Ills Tod wird billigend in Kauf genommen. Es regnet Geld. Ein glückliches Ende aber ist es wahrlich nicht.
Viel Beifall gibt es für alle Darsteller in einem überzeugenden Ensemble wie für die gesamte Inszenierung.
Die nächsten Aufführungen des Dürrenmatt-Klassikers stehen in Dessau am Montag, dem 14. Mai, um 10 Uhr und am Donnerstag, dem 7. Juni, um 19 Uhr auf dem Spielplan.