Im Gespräch mit Chefarzt Prof. Dr. Jens Schreiber vom Universitätsklinikum Magdeburg Allergien können lebensbedrohlich sein
Husten, Schnupfen geschwollene Augenlider - mit der Blüte beginnt für allergische Menschen eine Leidenszeit. Zu dem Thema sprach die Volksstimme mit Prof. Dr. Jens Schreiber, Chefarzt des Bereiches Pneumologie am Universitätsklinikum Magdeburg.
Volksstimme: Wie viele Allergiker gibt es in Deutschland?
Prof. Dr. Jens Schreiber: Allergische Krankheiten sind sehr häufig. Zirka 20 Prozent, das heißt, ungefähr jeder fünfte Bewohner Mitteleuropas ist von einer allergischen Erkrankung betroffen. Allergien sind eine fehlregulierte und überschießende Immunreaktion des Organismus gegen Substanzen in der Umwelt.
Volksstimme: Hat die Zahl zugenommen? Reagieren heute mehr Kinder allergisch als noch vor 20 Jahren?
Prof. Dr. Schreiber: Die Anzahl der Allergiker hat in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen, insofern sind auch mehr Kinder betroffen. Während allergische Erkrankungen früher nahezu ausschließlich bei jüngeren Menschen begannen, beobachten wir zunehmend ältere Menschen, bei denen es erstmalig zu einer Allergie kommt. Dies ist ein Hinweis darauf, dass sich auch die Art der Allergene und der Erkrankungen ändert.
Volksstimme: Welches sind die häufigsten Allergien und woher kommen sie?
Prof. Dr. Schreiber: Allergische Erkrankungen betreffen vorwiegend die Kontaktflächen des Körpers mit der Umwelt, das heißt vor allem die Haut und die Schleimhäute der Augen, der Nase, der Bronchien und mitunter auch der Verdauungsorgane. Häufige Auslöser sind Pollen, Hausstaubmilben, Tierhaare und Schimmelpilze, an der Haut die sogenannten Kontaktallergene und seltener Lebensmittel. Allerdings können Nahrungsmittelallergien, beispielsweise auf Erdnüsse oder Fisch auch lebensbedrohlich sein. Bedeutsam können arbeitsplatzbezogene Allergene, zum Beispiel bei Friseuren und Landwirten, sein. Allergische Reaktionen auf Insektenstiche (Bienen, Wespen) sind häufig und potenziell lebensbedrohlich.
Volksstimme: Woran erkennt man eine Allergie?
Prof. Dr. Schreiber: Der Verdacht stützt sich vor allem auf die klinische Symptomatik, wie beispielsweise ein Asthma mit Luftnotanfällen, Schwellungen im Rachenraum, einen Reizhusten, einen sogenannten Heuschnupfen, das heißt eine Entzündung der Augen- und Nasenschleimhäute, einen Hautausschlag wie Ekzem oder Nesselfieber. Das Spektrum der Krankheitsmanifestationen kann bis hin zum allergischen Schock reichen. Bei diesen Krankheitsbildern ist eine Klärung erforderlich, ob eine Allergie vorliegt.
Volksstimme: Wie und wo kann man sich testen lassen?
Prof. Dr. Schreiber: Es gibt zahlreiche Untersuchungsmethoden, um allergische Erkrankungen zu diagnostizieren. Diese Untersuchungen sollten bei einem Facharzt, meist einem Spezialisten für Pneumologie, Dermatologie oder HNO-Heilkunde, der über eine spezielle Zusatzqualifikation für Allergologie verfügt, erfolgen.
"Krankheit auf keinen Fall bagatellisieren."
Volksstimme: Sind Allergien gefährlich?
Prof. Dr. Schreiber: Allergische Krankheiten können schwer, teilweise lebensbedrohlich verlaufen. Sie dürfen auf keinen Fall bagatellisiert werden. Häufig kann sich aus einem Heuschnupfen im weiteren Krankheitsverlauf ein allergisches Asthma entwickeln, es findet ein sogenannter Etagenwechsel statt. Eine konsequente und frühzeitige Diagnostik und Behandlung ist bei allen allergischen Erkrankungen unbedingt erforderlich.
Volksstimme: Welches sind die besten medizinischen Therapien?
Prof. Dr. Schreiber: Die Behandlung von allergischen Erkrankungen besteht aus mehreren Komponenten. Dort, wo es möglich ist, muss der Kontakt mit dem auslösenden Allergen vermieden oder minimiert werden. Wirksam ist die sogenannte Immuntherapie, früher auch Hyposensibilisierung genannt, bei der mit aufsteigenden Mengen des ursächlichen Allergens eine Umstellung der überschießenden Immunantwort hervorgerufen wird. Weiterhin gibt es effektive Medikamente, die oft örtlich angewandt werden können und deshalb sehr gut verträglich sind. Zu den modernsten Behandlungsformen gehören sogenannte monoklonale Antikörper, das heißt spezielle Eiweißstoffe, die das für die Allergie ursächliche Immunglobulin E binden. Sie werden beispielsweise beim schweren allergischen Asthma sehr erfolgreich angewandt. Weitere Antikörper, die gezielt in die Mechanismen der übersteigerten Immunantwort eingreifen, sind in der Entwicklung und werden im Rahmen von klinischen Studien, auch im Universitätsklinikum Magdeburg, getestet. Die Mechanismen der Immunologie und der Entzündung stellen einen Forschungsschwerpunkt der medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg dar.
Volksstimme: Was empfehlen Sie Heuschnupfengeplagten in den Pollenflugzeiten?
Prof. Dr. Schreiber: Heuschnupfen darf nicht bagatellisiert werden. Er kann die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen und bis hin zum Asthma fortschreiten. Es gibt Möglichkeiten den Pollenkontakt zu verringern. So sollten Betroffene nicht bei offenem Fenster schlafen und körperliche Belastungen wie Joggen bei hohem Pollenflug, meist in den Morgen- und Abendstunden, vermeiden. Hilfreich ist auch das Waschen der Haare, in denen sich die Pollen ansammeln können, vor dem Schlafengehen. Die Pollensaison kann auch bei der Urlaubsplanung berücksichtigt werden. Aktuelle Information finden sich auf der Homepage des Deutschen Pollen-informationsdienstes. Die Pollentherapie kann wirksam mit der Immuntherapie behandelt werden. Bei akuten Symptomen ist meist eine medikamentöse Behandlung erforderlich.
Volksstimme: Was ist von einer Eigenbluttherapie zu halten?
Prof. Dr. Schreiber: Nichts. Das gilt auch für diverse sonstige paramedizinische Angebote wie Bioresonanz, Magnetfeldtherapie und andere, die günstigstenfalls nur wirkungslos und teuer, gelegentlich aber auch gefährlich sind und vor allem eine wirksame Therapie verzögern können.
Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst im Internet unter www.pollenstiftung.de/