Studien belegen: Zu viele unnötige Prostata-Behandlungen infolge des PSA-Screenings Das Dilemma mit der Krebsfrühdiagnose
Magdeburg l Dank moderner Methoden stieg die Zahl der frühzeitig diagnostizierten Patienten mit Prostata-Krebs in den vergangenen zwanzig Jahren deutlich an. Ist das ein Segen oder ein Fluch für die betroffenen Männer?
Krebsfrüherkennung ist sinnvoll. So lautet der Appell von Ärzten seit mehr als 70 Jahren. Bei vielen Männern traf er bislang auf taube Ohren. Ein möglicher Grund: Die Prostata-Tastuntersuchung des Arztes ist nicht sehr angenehm. Weit weniger belastend ist ein Bluttest, den es seit etwa drei Jahrzehnten gibt. Aus der Menge eines im Blut enthaltenen Eiweißes, dem "prostataspezifischen Antigen" (PSA), können die Ärzte ablesen, ob eine Prostatakrebs-Gefahr besteht.
Sollten erhöhte PSA-Werte (über 4,0 ng/ml) einen Tumorverdacht nahelegen, werden mehrere Gewebeproben aus der Prostata entnommen und auf Krebszellen untersucht (Biopsie). Bestätigt sich dann der Verdacht, führte das in der Regel zur Radikaloperation oder einer Strahlentherapie. So werden aus Männern, die vom Krebs nichts ahnten und normal lebten, plötzlich Patienten.
Schon vor einem Jahrzehnt äußerte die Deutsche Krebsgesellschaft unter ihren damaligen Präsidenten - dem Urologen Professor Lothar Weißbach - den Verdacht, dass eine "PSA-basierte gesetzliche Screening-Untersuchung zur Früherkennung des Prostatakarzinoms zur Folge hätte, dass zu viele gesunde Männer einer Diagnostik und Therapie unterzogen würden."
Das war nicht unbegründet. Groß angelegte Studien in den USA und Europa legen den Verdacht nahe, dass als Folge des PSA-Screenings oftmals Behandlungen durchgeführt werden, die eigentlich unnötig wären.
Wenn im Jahr eine Million scheinbar gesunder Männer einen PSA-Test durchführen lassen, so wird dieser bei etwa 200 000 Männern positiv ausfallen und eine Gewebeentnahme nach sich ziehen. Bei gut einem Viertel von diesen Patienten werden Tumorzellen entdeckt.
"Von etwa tausend Männern, wird einer vor dem Tod gerettet." - Prof. Dr. Bernd-Peter Robra
Aber nur etwa 400 Männer werden dadurch tatsächlich gerettet, denn die meisten anderen wären ohnehin nicht am Tumor gestorben. Ungleich größer ist die Zahl der Männer, die unerwünschte Therapie-Nebenwirkungen (zum Beispiel Inkontinenz) davontragen.
Mit den Worten von Prof. Dr. Bernd-Peter Robra, Leiter des Instituts für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie am Universitätsklinikum Magdeburg, lassen sich die wissenschaftlichen Studienergebnisse noch einfacher zusammenfassen: "Von etwa tausend Männern, die ein PSA-Screening durchführen lassen, wird nur einer vor dem Prostatakrebstod gerettet. Zusätzlich werden aber 36 Männer einer Behandlung unterzogen, die eigentlich überflüssig ist." Das sind gesicherte, statistische Ergebnisse, bestätigt Prof. Dr. Weißbach der Volksstimme.
Der Nutzen für jeden Einzelnen liegt im Promille-Bereich, der mögliche Schaden jedoch im Prozent-Bereich, schreibt Prof. Weißbach, heute im Vorstand der Stiftung Männergesundheit tätig. Ähnlich sieht es Prof. Dr. Martin Schostak, Direktor der Urologischen Universitätsklinik Magdeburg und Mitglied der deutschen S3-Leitlinien-Kommission, die derzeit eine Aktualisierung der ärztlich verbindlichen Diagnostik- und Therapieempfehlungen zur Prostatakrebs-Diagnostik und -Therapie vorbereitet. Bislang können Ärzte das PSA-Screening in Deutschland für Männer ab 40 Jahren und in Kombination mit der Tastuntersuchung anbieten.
Die Krankenkassen bezahlen das PSA-Screening aus den oben genannten Gründen nicht. Ärzte können den Bluttest jedoch als individuelle Gesundheitsleistung auf Kosten des Patienten anbieten (Kostenpunkt etwa 25 bis 45 Euro). Wie umfangreich ein Arzt über Vor- und Nachteile von Diagnostik und Therapie informiert, liegt allein in dessen Verantwortung.
Vor etwa einem Jahr nahm die urologische Fachgesellschaft der USA von ihrer generellen Empfehlung zum PSA-Screening ab dem 40. Lebensjahr Abstand.
Dort wurde eine neue Leitlinie veröffentlicht, die empfiehlt, die Blutabnahme nur noch im Alter zwischen 55 und 69 Jahren anzubieten. Dadurch sank die Zahl der Biopsien und der radikalen Prostata-Entfernungen bereits um 15 bis 20 Prozent. Auch in Deutschland wird jetzt eine Novellierung der ärztlichen S3-Leitlinie vorbereitet.