Interview mit Kiezlegende „Der Kiez war am Ende“: Corny Littmann und sein St. Pauli
Man muss schon länger suchen, um jemanden zu finden, der sich so gut auskennt im Kiez. Im Gespräch verrät der Theatermacher und Aktivist, was St. Pauli am Leben hält und besuchenswert macht.
Hamburg - Er ist Theatermacher, Schauspieler, Regisseur und LGBTQ-Aktivist: Corny Littmann. Der ehemalige Vereinspräsident des FC St. Pauli wurde vom NDR der „ungekrönte König vom Hamburger Kiez“ genannt. Man kann also sagen: Die folgenden Tipps, aber auch eine kleine Warnung für den St. Pauli-Besuch kommen aus berufenem Munde.
Was ist St. Pauli für Corny Littmann?
Corny Littmann: St. Pauli ist Heimat für mich. St. Pauli ist Sehnsuchtsort - immer, wenn ich weg bin, möchte ich gerne wieder zurück. Und St. Pauli ist mit dem „Schmidt Theater“ mein Arbeitsort, der kreative Ort. Helmut Schmidt hat Mitte der 1980er Jahre gesagt: „Der Hamburger geht nicht nach St. Pauli“.
Ich glaube, wenn er noch unter uns wäre, dann wäre er heute einer unserer Besucher. Inzwischen sind der Erste Bürgermeister, die Zweite Bürgermeisterin und auch etliche Senatorinnen und Senatoren häufiger zu Gast in unseren Vorstellungen. Wir freuen uns darüber, dass sie sich für Kultur interessieren.
Die Hamburger Politik hat inzwischen die Bedeutung von der Reeperbahn und St. Pauli entdeckt, vor allen Dingen natürlich für den Tourismus. Hier kommen im Jahr 20 Millionen Menschen hin. Die Reeperbahn und St. Pauli sind weltweit bekannter als die Stadt Hamburg, nicht immer zur Freude der in Hamburg verantwortlichen Politikerinnen und Politiker.
Wenn jemand für ein Wochenende nach Hamburg kommt und St. Pauli kennenlernen will, wie lautet dann Ihre persönliche Empfehlung?
Littmann: Wer nach St. Pauli kommt, der wird auf alle Fälle einen Ort finden, an dem er sich aufgehoben und zu Hause fühlt. Tatsächlich gibt es hier für jede Altersgruppe, für jedes Geschlecht, für Jedermann und Jedefrau Entertainment in vielfältiger Hinsicht.
Was auf alle Fälle Pflicht ist, ist die einmalige Theatermeile hier am Spielbudenplatz, fünf Theater nebeneinander. Ich würde auch sagen, die „Panik City“, das Udo Lindenberg-Museum, ist immer einen Besuch wert. Und natürlich die Lokale und Restaurants, viele neue auch. Gerade in den Nebenstraßen tut sich eine ganze Menge.
Und was sollte man tunlichst vermeiden?
Littmann: Tunlichst meiden sollte man zu sehr später Stunde, zwischen vier und fünf Uhr, die belebte Große Freiheit. Da treiben sich manchmal Menschen rum, denen möchte ich um diese Uhrzeit nicht unbedingt begegnen.
Ich sehe auch nicht gern das randständige Sex-Geschäft. Das gibt es immer noch, aber wesentlich geringer als noch vor 30 Jahren. Mitte der 1980er Jahre gab es heftige Auseinandersetzungen hier auf St. Pauli. Der Kiez war eigentlich am Ende. Er wurde zwar noch besucht, von Touristen und Seeleuten, auch wegen der Prostitution, doch das wurde immer weniger, auch weil die Liegezeiten der Schiffe immer kürzer wurden.
St. Pauli ist dann wieder erwacht, mit Hilfe der Kultur, nicht nur mit dem „Schmidt Theater“, sondern auch mit dem Musical „Cats“ und Initiativen wie dem Reeperbahn Festival, dem größten europäischen Clubfestival. Es hat sich viel getan in den letzten 30 Jahren. St. Pauli ist immer in Bewegung. Dieser Stadtteil lebt von der Innovation, von dem Neuem, von den Kreativen.
ZUR PERSON: Corny Littmann, geboren 1952 in Münster, lebt seit vielen Jahren in Hamburg. Neben seinem kulturellen Engagement war und ist er immer wieder auch politisch aktiv. Er setzt sich zum Beispiel für die gesellschaftliche Gleichstellung Homosexueller ein.