Apps Die eigenen Kinder überall orten
Ist das der Traum der Helikopter-Eltern? Mit Tracking-Apps kann der Nachwuchs jederzeit geortet und überwacht werden.
Berlin (dpa) l Den Schulweg verfolgen, Facebook-Freundschaften und Instagram-Bilder durchstöbern: Mit Hilfe diverser Apps können Eltern ihren Nachwuchs auf Schritt und Tritt überwachen. Der US-Anbieter „Qustodio“ etwa wirbt unverblümt: „Der einfachste Weg Ihre Kinder online zu kontrollieren“. Im Angebot: Ortung, Überwachung sozialer Netzwerke, Sperren unerwünschter Kontakte. Und der „Unsichtbar-Modus“ sorge dafür, dass das Kind die Kontrolle über das Gerät nicht mitbekomme.
Datenschützer sehen die Entwicklung kritisch: Schleichend werde eine Überwachungsstruktur geschaffen, „an die sich alle Beteiligten gewöhnen“, sagt Klaus Globig, der stellvertretende Landesdatenschutzbeauftragte aus Rheinland-Pfalz. Er warnt vor Missbrauchsmöglichkeiten. „Die Frage ist, wer kann auf solche Standortinformationen zugreifen? Im technischen Bereich ist ja nie etwas absolut sicher und unknackbar.“
„Auch Kinder haben das Recht auf das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis“, sagt Becker von der Kinderhilfe. Die gesamte Entwicklung sei kritisch. „Das ist ein Geschäft mit dem schlechten Gewissen der Eltern. Eltern, die ihre Kinder begleiten – und ich meine nicht kontrollieren, die bekommen in der Regel mit, wenn sich etwas verändert oder nicht in Ordnung ist.“ Es bringe nichts, ein Versagen in der Erziehung mit einer Technik kompensieren zu wollen.
Überwachen Eltern ihr Kind per App, kann das zwei Gründe haben: Misstrauen und Sorge. Aber in beiden Fällen sei die elektronische Kontrolle im Prinzip sinnlos, sagt Maria Große Perdekamp, Leiterin der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke). Dafür gäbe es drei Gründe:
Sicherheit: „Sie sehen vielleicht die Koordinaten und wo das Kind ist, sie wissen aber nicht, wie es ihm geht und ob es in Gefahr sein könnte“, sagt die Expertin. Das sichere Gefühl müsse vielmehr aus einer Verbindlichkeit zwischen Eltern und Kind entstehen. „Mein Rat ist, immer mit dem Kind im Gespräch bleiben, ihm vermitteln, dass es wichtig ist, und offen sagen, dass und warum man sich Sorgen macht“, sagt Große Perdekamp.
Will ein Mädchen beispielsweise unbedingt spät am Abend allein nach Hause gehen, lassen sich Kompromisse aushandeln – etwa, dass ein Elternteil der Tochter mit dem Auto entgegenkomme, sie sich ein Taxi nimmt oder mit Freunden geht. Auch ein Selbstverteidigungskurs kann Sicherheit vermitteln. Das helfe im Fall der Fälle jedenfalls mehr als eine App, sagt Große Perdekamp.
Misstrauen: Auch, wenn Eltern ihr Kind kontrollieren wollen, weil es sich zum Beispiel nicht an Verabredungen hält und sie ihm nicht vertrauen, ist eine entsprechende App wohl eher kontraproduktiv. „Auf so eine Überwachung würden Kinder wohl mit Ärger, Wut und Ohnmacht reagieren“, sagt Große Perdekamp. Vor allem Jugendliche reagieren vielleicht trotzig, provozieren die Eltern und machen mitunter sogar das Gegenteil von dem, was sie sollen und dürfen. „Das Kind findet das ungerecht und will ausbrechen“, sagt Große Perdekamp. Im schlimmsten Fall zerstören Eltern so die komplette Vertrauensbasis zwischen ihnen und dem Kind. Stattdessen empfiehlt die Expertin auch hier: Vertrauen schaffen, im Gespräch bleiben und Sorgen ehrlich ansprechen.
Bei kleineren Kindern: Sind Kinder noch jünger, denken Eltern vielleicht, eine Verbindung per App könnte Sicherheit geben und ihre Begleitung ersetzen. „Aber auch das stimmt nicht“, sagt Große Perdekamp. „Denn sie können nicht eingreifen und helfen.“ Auch hier kann das Handy sogar kontraproduktiv sein, da das Kind sich damit mitunter sogar sicherer fühlt, als es ist. „Es ist aber ganz wichtig, dass es auch lernt, sich in einer Notsituation vor Ort Hilfe zu holen.“ Und Eltern müssen ihrem Nachwuchs altersgerecht und Schritt für Schritt mehr zutrauen – und ihm dabei vertrauen.
Beratung für Eltern und Jugendliche gibt es kostenlos online auf www.bke-beratung.de.