Spiritualität und Schwangerschaft Wie eine Magdeburger Doula vergessene Rituale zurückbringt – und Müttern neue Kraft schenkt
Segensrituale wie das „Blessingway“ gewinnen an Bedeutung – als spirituelle Begleitung durch Schwangerschaft, Geburt und andere Lebensphasen. Warum das vielen hilft – und was das mit dem Wandel von Religion zu tun hat.

Magdeburg. Wenn werdende Mütter und ihre Begleiterinnen zu Mira Czogalla kommen, liegen in einem großen Raum bereits Sitzkissen im Kreis, gleichmäßig herumgruppiert um ein Tuch, auf dem Kristalle und Blumen dekoriert sind. Während der Feier gestalten die Frauen unter anderem eine Geburtskerze mit guten Wünschen, bemalen den Bauch der Schwangeren und binden einen Blumenkranz.
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Segensritual statt Babyshower: Was hinter dem „Blessingway“ steckt
„Blessingway“ – übersetzt „Segensweg“ – nennt sich die Zeremonie, die ursprünglich von amerikanischen Ureinwohnern stammt. „Dabei stehen die Mutter und der Übergang in die neue Lebenssituation im Fokus“, sagt Mira Czogalla.
Die Magdeburgerin begleitet Frauen als Doula vor, während und nach der Geburt, darüber hinaus bietet sie Anwendungen rund um Schwangerschaft und die erste Zeit mit Baby an: etwa Massagen mit einem Rebozo-Tuch, die Bindetechnik Belly Binding für die Rückbildung und Plazenta-Kunstwerke.
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Ihrer Einschätzung nach suchen gerade viele Menschen nach Alternativen zu etablierten christlichen Ritualen. „Viele Menschen sehnen sich nach mehr Tiefe und Authentizität – und nach Ritualen, die wirklich zu ihrem Leben, Glauben oder inneren Erleben passen“, sagt Czogalla. „Dabei geht es weniger um religiöse Vorgaben, sondern mehr um persönliche Verbindung und Sinnhaftigkeit.“
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Insbesondere Blessingway-Rituale begleiten ihr zufolge den Übergang in eine neue Lebensphase auf liebevolle, bewusste Weise, egal ob vor der Geburt oder als Baby-Blessingway, um den neuen Erdenbürger willkommen zu heißen. „Auch bei anderen Lebensübergängen – Geburt, Abschied, Neubeginn – suchen immer mehr Menschen solche spirituell offenen, individuellen Formen.“
Das Blessingway ist nicht das einzige Ritual, das viele Menschen deutschlandweit und damit auch in Sachsen-Anhalt für sich entdecken.
Doula Mira Czogalla: Warum Mütter wieder Rituale brauchen
Auch zu meditieren oder während der Rauhnächte das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen, ist längst nichts mehr, für das man sich verstecken müsste. Ratgeber und Blogs informieren über spirituelle Erziehung, und Mütter und Väter können sich in verschiedenen Kurs mit achtsamer Elternschaft auseinandersetzen.
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Mit Religion hat das wenig zu tun. „Solche Rituale weisen keinen Bezug zum Transzendenten auf“, sagt der Religionssoziologe Hagen Findeis von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er forscht unter anderem dazu, wie Familien christliche Religiosität über mehrere Generationen hinweg weitergeben.

„Der Glaube an spirituelle Rituale ist in der westlichen Alternativkultur eher innerweltlich ausgerichtet und dient der Selbstvergewisserung, der Selbstoptimierung, auch der symbolischen Vergemeinschaftung.“
Spiritualität statt Kirche: Was Familien heute Halt gibt
Zwar bestünde durchaus die Möglichkeit, dass Eltern ihren christlichen Glauben – also bestimmte Glaubensvorstellungen, Werte und Ritualen – an ihre Kinder weitergeben. „Denn Familien sind Generatoren für Religiosität, vor allem die gelebte Praxis von Religion“, sagt Findeis.
„Gelebte Praxis meint zum Beispiel Rituale wie einen Segensspruch, ein christliches Lied oder eine Geschichte, mit der Eltern ihre Kinder abends zu Bett begleiten. Aber auch die Übergänge im Leben, die religiös gerahmt sind, gehören dazu, wie Taufe, Konfirmation oder Kommunion oder eine kirchliche Hochzeit.“
Warum Religion an Bedeutung verliert – und was Kinder trotzdem brauchen
Aber wie kommt es dann, dass sich der Glaube trotzdem langsam verliert? „Dabei spielt die außerfamiliale Umwelt eine ganz wichtige Rolle“, sagt Findeis. „Denn solange auch gerade Kinder stark auf die familiäre Mitwelt bezogen sind, praktizieren sie das, was Mütter, Väter und teilweise auch Großeltern vorleben. Aber je älter die Kinder werden, desto eher kann es schon mal vorkommen, dass sie Glaube und Religiosität als nicht sozial anschlussfähig erleben und sich davon distanzieren.“
Als Beispiel dafür nennt er ein Tischgebet, das eine Familie normalerweise vor dem Abendessen spreche – das die Familie aber vielleicht lieber weglasse, wenn ein Kind Schulfreunde mit nach Hause bringt.
Magie des Alltags: Wie Rituale Kindern Struktur geben
Letztlich behielten die älter werdenden Kinder am ehesten noch sogenannte Passageriten wie Taufe, Kommunion oder eine kirchliche Hochzeit bei. Dagegen gehen Alltagsrituale in eigentlich religiösen Familien verloren.
Ein weiterer Grund dafür, dass Eltern ihren Glauben seltener an ihre Kinder übertragen, ist eine veränderte Vorstellung von Erziehung. „Christliche Erziehung wird heute oft freier gehandhabt“, sagt Findeis. So legten immer weniger Eltern Wert darauf, den Kindern ein fixes Bild von Religion zu vermitteln, von dem sie nicht abweichen dürfen.
„Stattdessen verstehen sie ihre Kinder mehr als Partner, die man miteinbeziehen und zur Selbstständigkeit erziehen möchte“, sagt Findeis. „Damit ist die religiöse Erziehung eingebettet in den generellen Trend in unserer Gesellschaft, in dem die Autonomie jedes Individuums einen viel größeren Stellenwert als früher hat und in dem Kinder selbst Entscheidungen treffen sollen.“

Das bedeutet jedoch nicht, dass Kinder Rituale nicht brauchen und schätzen. „Kinder sind große Meister, wenn es darum geht, Rituale zu vollziehen“, sagt Findeis. „Und gerade im jüngeren Alter sind sie noch stark in magischen Vorstellungen beheimatet, weil ihnen das hilft, ihre Lebenswelt auch zu strukturieren.“ Einzig der religiöse Bezug verliere sich mit der Zeit, sagt Findeis.
Er erzählt von einer Langzeit-Beobachtung, bei der Eltern ihre Kinder mit einem religiösen Gute-Nacht-Ritual ins Bett verabschiedeten. „Im Lauf der Jahre wurde daraus ein Beziehungsritual, bei dem Mutter oder Vater abends am Bett sitzen und mit dem Kind über den Tag sprechen.“
Kraft aus der Gemeinschaft: Wie spirituelle Rituale stärken können
Aber auch, wenn spirituelle Praktiken nicht als religiöse Erfahrung zu verbuchen sind, können sie Kraft entfalten. Das zeigt sich auch bei der Magdeburger Doula Mira Czogalla: „Für mich bedeutet Spiritualität, mit mir selbst in innerem Austausch zu stehen. Indem ich innerlich immer weiter wachse, kann ich Herausforderungen besser bewältigen.“ Das vermittle sie auch den Müttern, die sie betreut. Denn gerade in der Zeit von Schwangerschaft, Geburt und Mutterwerden sei innere Widerstandskraft enorm wichtig.
So geht es etwa bei den Blessingway-Ritualen darum, mit sich selbst in Verbindung zu treten: „Blessingways finden oft im Kreis von Frauen statt, weil hier eine besondere Form von Verbundenheit, Verständnis und gegenseitiger Stärkung spürbar wird“, sagt Czogalla.
Die werdende Mutter stehe im Mittelpunkt und werde symbolisch geehrt, gestärkt und innerlich auf die Geburt vorbereitet. Die Rückmeldungen seien durchweg positiv: „Viele Frauen sind dankbar, dass es einen Raum gibt, in dem sie gesehen werden – mit ihren Ängsten, ihrer Kraft, ihrer Geschichte. Spirituelle Rituale geben ihnen ein Gefühl von tiefer Geborgenheit und dem Ankommen im eigenen Körper.“