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Neues Mutterschutz-Gesetz 2025 Mutter aus Dessau erleidet eine Fehlgeburt in der 14. Woche – und plötzlich greift ein Gesetz, das kaum jemand kennt

Als Franziska Kaden im Juni ihr Kind verliert, steht sie unter Schock – doch nur durch Zufall erfährt sie, dass ihr seit Kurzem Mutterschutz zusteht. Ein Gesetz, das Millionen Frauen betrifft, aber noch kaum bekannt ist. Warum es das jetzt gibt – und weshalb Betroffene trotzdem kämpfen müssen.

Von Canan Edemir Aktualisiert: 24.11.2025, 12:44
Natascha Sagorski hat drei Jahre lang unermüdlich für Frauen gekämpft, die ihr Baby während der Schwangerschaft verlieren.
Natascha Sagorski hat drei Jahre lang unermüdlich für Frauen gekämpft, die ihr Baby während der Schwangerschaft verlieren. (Foto: Fulmidas/Familie sind alle)

Dessau/Berlin. Es ist Sommer, 2. Juni, als Franziska Kaden starke Schmerzen im Unterleib verspürt. So stark, dass sie ins Dessauer Krankenhaus fährt. Die 36-Jährige ist im vierten Monat mit dem zweiten Kind schwanger. Ultraschall, Herzschlag, alles in Ordnung. Gerade einmal drei Stunden später hält sie ihr Kind in der Fruchtblase in den Händen. Eine Fehlgeburt.

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Ein Sommermorgen, der alles verändert

„Ich bin auf Toilette, mein Kind rutscht mir auf den Boden, es macht Platsch.“ Ihre Stimme bricht, als sie sich erinnert. Das Gefühl, das sie in dem Moment hatte, könne sie gar nicht beschreiben, sagt Franziska Kaden. Und damit ist sie nicht allein. Eine von schätzungsweise drei Frauen erleiden in ihrem Leben eine Fehlgeburt.

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Dieses traumatisierende Erlebnis wäre es Franziska Kaden nur wenige Tage vorher passiert, sie hätte keinerlei Anspruch auf Mutterschutz gehabt. Also der Anspruch auf Mutterschaftsleistungen, die den vollen Lohn vor der Schwangerschaft ersetzen. Denn erst seit dem 1. Juni 2025 haben Frauen, die ab der 13. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erleiden, Anspruch auf Mutterschutz.

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Diese Regelung ist das Ergebnis einer Gesetzesänderung, die im Januar 2025 vom Bundestag einstimmig verabschiedet und im Februar 2025 vom Bundesrat bestätigt wurde. Es ist nicht die erste Fehlgeburt von Franziska Kaden. Mehrere Vorerkrankungen erschweren es ihr, schwanger zu werden: „Für mich ist eine Schwangerschaft ein Sechser im Lotto.“ Dennoch habe sie nie damit gerechnet, diejenige zu sein, die als Erste von der Gesetzesänderung profitiert, so die Dessauerin.

Warum viele Frauen keinen Mutterschutz bekommen – bis jetzt

Bisher galt: Nur Frauen, die ab der 24. Woche eine Fehlgeburt erleiden oder deren Kind mindestens 500 Gramm wiegt, haben Anspruch auf Mutterschutz. Betroffene mussten daher auf eine Krankschreibung hoffen. Tatsächlich treten etwa 80 Prozent der Fehlgeburten innerhalb der ersten drei Monate auf.

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Dass betroffene Frauen nun mehr Schutz bekommen, ist maßgeblich der Politikwissenschaftlerin und Autorin Natascha Sagorski zu verdanken. Auch sie verlor ihr ungeborenes Kind. Als sie – noch völlig benommen – um eine Krankschreibung bat, stieß sie im Krankenhaus jedoch auf Ablehnung. „Mein Bauch war leer“, erinnert sich die 41-Jährige. „Keine Frau sollte in einer solchen Situation noch die Kraft aufbringen müssen, für ihr Recht zu kämpfen.“

Der Dessauerin Franziska Kaden erging es ähnlich, als die behandelnde Ärztin äußerst unsensible Bemerkungen machte. Wie viele anderen Frauen solche Erlebnisse ertragen mussten, davon hat Natascha Sagorski erst erfahren, als sie für ihr Buch „Jede Dritte Frau“ (Hrg: Komplett Media GmbH, 2022, München, 304 Seiten) mit etlichen Betroffenen gesprochen hat.

Einige hätten nach ihrer Fehlgeburt sogar Urlaub nehmen müssen, da sie weder Krankschreibung noch Mutterschutz erhielten, so Sagorski. Dieser Austausch habe sie einerseits gestärkt, aber andererseits auch unfassbar wütend gemacht.

Aus persönlicher Wut wird ein politisches Gesetz

Ihre Wut wurde zum Antrieb: Im Jahr 2022 startete sie eine Petition, die den gestaffelten Mutterschutz nach Fehlgeburten forderte. Zunächst musste die Frau aus Unterföhring in Bayern feststellen, dass Frauengesundheit in der Politik nach wie vor als „Gedöns“ abgestempelt wurde.

Es sei eine Herausforderung gewesen, Bewusstsein für das strukturelle Problem und sich selbst Gehör zu verschaffen, sagt sie. Erschrocken sei Sagorski vor allem über die Unwissenheit vieler Politikerinnen und Politiker gewesen. Die meisten gingen davon aus, dass ohnehin Mutterschutz nach einer Fehlgeburt bestünde.

Drei Jahre lang kämpfte Sagorski unermüdlich dafür, das bisherige Mutterschutzgesetz gerechter zu gestalten. Mit Hartnäckigkeit und vielen Gesprächen im Familienausschuss brachte sie SPD, CDU und CSU schließlich zu einem gemeinsamen Gesetzentwurf, der nun auch Frauen nach frühen Fehlgeburten mehrere Wochen Mutterschutz zusichert. Für ihren Einsatz erntete sie im Bundestag Standing Ovations – ein Moment, den sie selbst kaum für möglich gehalten hätte.

Das große Tabu: Warum Fehlgeburten unsichtbar bleiben

Zur politischen Betrachtung komme jedoch das gesellschaftliche Tabu. Über Fehlgeburten werde kaum gesprochen, denn Scham spiele eine große Rolle. „Es ist zwar keine kleine Gruppe – es sind sehr viele Frauen betroffen – aber es ist eine leise Gruppe“, sagt Sagorski. Viele Frauen suchten den Fehler zuerst bei sich selbst. Auch die Dessauerin Franziska Kaden beschreibt es so: „Ich fühlte mich so, als ob ich was verbrochen habe.“

Für Natascha Sagorski ist klar: Der erweiterte Mutterschutz ist nur der erste Schritt. Welche Möglichkeiten und Rechte haben Frauen nach einer Fehlgeburt? All das sollte Allgemeinwissen sein, findet sie. Es muss in der medizinischen Praxis, in der Unternehmenskultur und im gesellschaftlichen Alltag gelebt werden. Erst so kann Sichtbarkeit geschaffen werden. Die Erfahrung mit dem Gesetz hat sie bestärkt, sich weiterhin für Familien einzusetzen.

Als SPD-Mitglied engagiert sie sich bereits im Vorstand der bayerischen Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen und kann sich sogar eine politische Laufbahn vorstellen. Denn zu tun gibt es noch Einiges – etwa Aufklärungskampagnen, die sie mit ihrer Organisation „Familie sind alle“ für Winter geplant hat.

Neues Gesetz – neue Hürden: Bürokratie statt Unterstützung

Der Fall von Franziska Kaden zeigt, wie kompliziert die praktische Umsetzung für Betroffene sein kann. Dass sie Anspruch auf Mutterschutz hat, sagte man ihr im Krankenhaus nicht. Sie selbst ist zufällig in den sozialen Medien darüber gestolpert.

Als ihr Mann bei der Krankenkasse anrief, wusste dort zunächst niemand Bescheid. In der App konnte sie schließlich Mutterschutz beantragen. Dieser wurde nach einer Woche bewilligt. Glücklicherweise kannte die Gynäkologin Franziska Kadens lange Krankheitsgeschichte und hatte sie ohne Umschweife krankgeschrieben. Aber dieses Glück haben nicht alle Betroffenen.

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Der seit Juni geltende gestaffelte Mutterschutz sieht für Fehlgeburten ab der 13. Woche – also im Fall von Franziska Kaden – ein zweiwöchiges Beschäftigungsverbot vor. Der Mutterschutz erhöht sich gemessen an der Dauer der Schwangerschaft auf bis zu acht Wochen. Frauen können sich jedoch entscheiden, freiwillig arbeiten zu gehen.

Trost in der Selbsthilfe – Schmerz im Alltag

Für Franziska Kaden verschafft die neue Regelung etwas Zeit, um sich emotional und körperlich zu erholen. „Trotzdem sind zwei Wochen viel zu wenig“, meint sie. Die Mutter wünscht sich, dass wirklich alle Frauen berücksichtigt werden: „An meinem Kind war alles dran, warum sollte das in der zwölften Woche anders sein?“

Unterstützung fand Franziska Kaden schließlich in einer Selbsthilfegruppe in Dessau. Dort fühlte sie sich zum ersten Mal wirklich verstanden – anders als im Umfeld, wo vielen die Worte fehlten. „Mir gegenüber sitzt jemand, die das gleiche Schicksal erlebt hat“, sagt sie. Trotzdem gibt es Momente, die besonders schmerzen. Am 4. Dezember wäre ihr Kind zur Welt gekommen. Weihnachten, sagt sie, falle für ihre Familie in diesem Jahr aus.

Wie der neue gestaffelte Mutterschutz funktioniert

Seit dem 1. Juni 2025 haben Frauen, die ab der 13. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erleiden, Anspruch auf Mutterschutz.

Der Mutterschutz nach einer Fehlgeburt ist nach dem Zeitpunkt der Fehlgeburt gestaffelt:

  • Ab der 13. Schwangerschaftswoche: zwei Wochen Mutterschutz
  • Ab der 17. Schwangerschaftswoche: sechs Wochen Mutterschutz
  • Ab der 20. Schwangerschaftswoche: acht Wochen Mutterschutz

Vor dieser Gesetzesänderung bestand kein Anspruch auf Mutterschutz bei Fehlgeburten bis zur 24. Schwangerschaftswoche. Betroffene Frauen waren auf eine Krankschreibung angewiesen.

Ein wichtiger Aspekt der neuen Regelung ist, dass sie freiwillig ist. Frauen können selbst entscheiden, ob sie den Mutterschutz in Anspruch nehmen oder nicht. Wer arbeiten möchte, kann sich ausdrücklich dazu bereit erklären und auf den Mutterschutz verzichten.

Um den Mutterschutz nach einer Fehlgeburt in Anspruch zu nehmen, muss die betroffene Frau:

  • Ihren Arbeitgeber über die Fehlgeburt informieren
  • Auf Verlangen einen ärztlichen Nachweis vorlegen, aus dem hervorgeht, dass eine Fehlgeburt erlitten wurde und in welcher Schwangerschaftswoche dies geschah

Während der Schutzfristen haben Frauen Anspruch auf Mutterschaftsleistungen, die den vollen Lohn vor der Schwangerschaft ersetzen. Diese Regelung gilt für den Tag der Fehlgeburt sowie die gesamte Schutzfrist.