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erziehung Manchmal möchte ich einfach nur Frieden! – Wie eine Mutter bei Magdeburg lernt, streitende Geschwister zu begleiten

Hochbett, Trinkbecher, Türöffnen – scheinbar banale Dinge führen bei Anica Schütz’ Töchtern (6 und 8) regelmäßig zu heftigen Auseinandersetzungen. Die Mutter aus Gerwisch bei Magdeburg erlebt, wie schnell kleine Funken zu großen Gefühlen werden. Doch genau darin steckt ein wichtiges Lernfeld für Kinder – und eine Herausforderung für Eltern. Was hilft, wenn der Familienalltag zur Geduldsprobe wird?

Von Helene Kilb 17.11.2025, 17:36
Mutter Anica Schütz aus der Nähe von Magdeburg tröstet ihre Tochter nach einem Streit.
Mutter Anica Schütz aus der Nähe von Magdeburg tröstet ihre Tochter nach einem Streit. (Foto: Raja Dobbert)

Magdeburg. Abends geht es oft darum, wer im Hochbett oben schlafen darf, beim Essen um die Farbe des Trinkbechers oder den Sitzplatz am Tisch, sagt Anica Schütz, „und am Wochenende war es großes Thema, wer die Tür öffnen darf, wenn es klingelt“.

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Schütz lebt in Gerwisch bei Magdeburg, ihre beiden Töchter sind sechseinhalb und acht Jahre alt. „Wenn größere Ereignisse anstehen, die Druck und Ungewissheit mit sich bringen, nehmen die Konflikte in der Familie zu, sowohl zwischen den Kindern als auch zwischen ihnen und mir“, sagt Schütz.

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Streit gehört dazu – schon ab dem Kleinkindalter

Aber auch im normalen Alltag gibt es oft Diskussionen und kleine Rangeleien zwischen den Mädchen. Den meisten Eltern dürfte das bekannt vorkommen – und zwar womöglich nicht nur vom Nachwuchs, sondern sogar noch aus der eigenen Kindheit.

Es liegt auf der Hand: Streit gehört zum Familienleben dazu. Warum genau, weiß die Psychologin Saskia Fischer. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gesundheit der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) und als Familientherapeutin am Institut für Familienpsychologie (ifp) in Magdeburg. Streit entsteht zum Beispiel durch unterschiedliche Bedürfnisse, Meinungen oder Wahrnehmungen zwischen Personen, und zwar in jedem Alter.

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„Aber während sich Erwachsene vielleicht nur innerlich aufregen, tragen Kinder das nach außen“, sagt Fischer. „Und bei Kindern kochen eben diese Emotionen noch sehr, sehr viel höher. Das heißt, Kinder erleben häufig den Tag über häufig extreme Ausschläge an positiven und negativen Emotionen. Sie haben es noch nicht gelernt, sich zu regulieren, ihre Wünsche auch mal hintenan zu stellen und das Gefühl von Wut oder Frustration auszuhalten.“

Warum Kinder stärker streiten als Erwachsene

Entsprechend fechten Kinder ihre Kämpfe häufiger nicht mit sich selbst aus, sondern mit ihrem Gegenüber. „Dabei lernen sie eine ganze Menge“, sagt Fischer. „Sie lernen, wie es ist, für sich selbst einzustehen. Oder wie es sich anfühlt, etwas durchzusetzen oder sich stattdessen dem Wunsch des anderen zu fügen. Und wenn zwei Kinder gerade dieselbe Rolle ausprobieren, gibt es natürlich Streit.“

Nach und nach bekommen Kinder ein Gefühl dafür, wie sie miteinander verhandeln, wo sie nachgeben oder auf ihrer Vorstellung beharren können, und wie sich ein Kompromiss finden lässt. Dabei geht es aber nicht nur ums „Was“, sondern auch ums „Wie“ – etwa um die Frage: „Was ist überhaupt ein sozial angemessener, in unserer Gesellschaft akzeptierter Ausdruck von Frust oder von Ärger?“, sagt Fischer.

Zweijährige verteidigen ihre Bedürfnisse und Besitztümer oft mit allen Mitteln: „Sie hauen, beißen, kratzen sich gegenseitig, aber auch ihre erwachsenen Bezugspersonen“, sagt Fischer. „Je mehr Sprachkompetenzen sie erwerben, desto weniger körperlich werden die Streits. Die meisten Kinder haben das bis zum Grundschulalter abgelegt.“

Vom Faustkampf zur Diskussion

Allerdings gebe es je nach Temperament große Unterschiede. „Manche Kinder werden schon von Anfang an nur selten handgreiflich und hören bald ganz damit auf. Andere zeigen das über viele Jahre hinweg, was aber auch nicht bedeuten muss, dass diese Kinder ein Aggressionsproblem haben“, sagt Fischer.

Gerade hier sei es aber wichtig, dass das Umfeld angemessen reagiere. „Eltern dürfen Verständnis nicht mit Laufenlassen verwechseln. Auch wenn es normal ist, dass Kinder mit drei oder vier Jahren handgreiflich werden, müssen Eltern Grenzen setzen“, sagt Fischer. Etwa indem sie klar sagen: „Wenn du so zu mir bist, kann ich nicht weiter mit dir spielen.“

Neben dem Alter und der Persönlichkeit spielt auch der Altersabstand eine Rolle. „Je näher die Kinder beieinander sind, desto eher sind Konflikte programmiert, einfach weil die Kinder einen ähnlichen Entwicklungsstand und ähnliche Bedürfnisse haben“, sagt Fischer.

Altersabstand und Temperament: Streitfaktoren in der Familie

Schütz, die Mutter aus Gerwisch, kennt das aus eigener Erfahrung: „Meine Töchter haben einen Altersabstand von einem Jahr und fünf Monaten. Wie Zwillinge streiten sie oft darum, wer die Nummer eins bei verschiedenen Dingen ist“, sagt Schütz.

„Und hinsichtlich des Temperaments habe ich hier das totale Kontrastprogramm. Meine Große hat viel Empathie und passt sich eher an. Dagegen will meine willensstarke Kleine ihre Bedürfnisse oft auf Biegen und Brechen durchsetzen. Kürzlich hat sich meine Ältere im Zimmer verbarrikadiert, während die jüngere herumgeschrien hat und ihrem Ärger letztlich Luft gemacht hat, indem sie mich gebissen hat.“

Doch wie lassen sich die Nerven aller Familienmitglieder schonen? „Es ist gut, vorab Regeln festzulegen und eine vernünftige Streit- und Fehlerkultur vorzuleben“, rät Fischer. „Eltern können versuchen, einen aufkommenden Streit vorab zu erkennen und Kompromisse anzubieten.“

So lernen Kinder, Gefühle zu verbalisieren

Falls es dafür schon zu spät ist, hilft aber nur noch eins: „Trennen“, sagt Fischer. „Reden bringt in einer akuten Situation wenig. Wie Erwachsene auch sind Kinder auf dem Peak ihrer Emotionen nicht zugänglich.“

Spätestens, wenn sich alle wieder beruhigt haben, sollten Eltern sowohl eigene Emotionen als auch die der Kinder verbalisieren, damit auch die Kinder lernen, Gefühle in Worte zu fassen, „allerdings ohne alles totzudiskutieren“, sagt Fischer. Hier hat Anica Schütz den Vorteil, dass sie nicht nur Mutter ist, sondern auch Coachin für eine liebevolle Eltern-Kind-Beziehung.

So kann sie das Wissen aus ihren Weiterbildungen direkt zu Hause anwenden. Dazu gehören klare Grenzen beim Streit. „Ich sage meinen Kindern zum Beispiel: ,Dass du wütend bist, ist völlig okay. Aber es ist nicht okay, den anderen anzugehen’“, sagt Schütz. „Dafür haben wir das Stopp-Handzeichen. Und wenn der Andere partout nicht redebereit ist, heißt es bei uns: ,Hör auf, sonst gehe ich weg’.“

Konflikte moderieren – Schritt für Schritt

Zudem kann sie aus einem vordergründigen Streitthema mittlerweile gut das eigentliche Problem und die damit verbundenen Emotionen herauslesen.

„Zum Beispiel, wenn meine Tochter in ihren Schimpfphasen ,Blöde Mama’ oder ,Ich hasse dich!’ schreit, weiß ich: Das bedeutet einfach, dass sie gerade doof findet, was ich mache“, sagt Schütz. Sie und ihre Töchter haben sich angewöhnt, aufkommende Streits entsprechend zu moderieren: „Jetzt übernimmt meistens eine von uns die Rolle der Übersetzerin. Zum Beispiel wenn ich Stunk mit meiner Kleinen habe, steht die Große daneben und übersetzt sozusagen: ,Du willst das, und du willst das und jetzt werdet ihr euch nicht einig. Macht doch erstmal eine Pause’.“

Gemeinsam versuchen sie, eine Lösung zu finden, mit der alle zufrieden sind, sagt Schütz. „Und das kriegen wir mit jedem Mal besser hin.