Bonusfamilie mit Hürden und Herz "Ich dachte, das wird ein Abenteuer" – und landete mitten im Chaos
Die Magdeburger Mutter Nadine Aring-Tress wollte nach der Trennung einfach neu anfangen – mit einem Mann, drei kleinen Kindern und der Hoffnung auf eine harmonische Patchworkfamilie. Heute weiß sie: Der Weg dahin war härter als gedacht. Was ihr geholfen hat – und welche Fehler andere vermeiden können.

Magdeburg. Rückblickend sei sie ganz schön naiv gewesen, sagt Nadine Aring-Tress heute, sieben Jahre nach der Gründung ihrer Patchworkfamilie. Sie hatte sich getrennt und einen neuen Mann kennengelernt.
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Wenn aus zwei Familien eine wird: Wie sich Rollen, Regeln und Routinen neu sortieren müssen
Ihre Kinder waren vier und sieben Jahre alt, ihr neuer Partner brachte eine ebenfalls vierjährige Tochter mit in die Beziehung. „Ich dachte: Klar ist die Trennung einer Kernfamilie nicht ideal“, sagt Aring-Tress, die in Magdeburg wohnt.
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„Aber die Aussicht auf eine Patchworkfamilie hörte sich für mich an wie ein tolles Abenteuer, bei denen sich alle gut verstehen, und wir uns vielleicht sogar mit den Expartnern befreunden würden. Aber schon bald merkte die damals 32-Jährige: „Wir starten hier direkt mit einigen Problemen.“
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Der emotionale Rucksack aller Beteiligten:
Warum Altlasten, Erwartungen und Loyalitätskonflikte so belastend
So gibt es, während kinderlose Menschen sich zunächst in aller Ruhe kennenlernen, bei einem Patchwork-Paar keine entspannte Verliebtheitsphase. „Das war mir vorher so nicht bewusst, war für mich aber auf jeden Fall eine Herausforderung“, so Aring-Tress. Auch der Kontakt mit den Expartnern gestaltete sich teilweise schwierig.
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Das Zusammenleben zu fünft fühlte sich ungewohnt an: „Mein Mann und ich waren ja fremde Erwachsene für die Kinder des jeweils anderen. Und die Kinder des anderen waren uns fremd“, sagt die Magdeburgerin.
„Damit kamen Themen auf, um die sich wahrscheinlich jedes Patchwork-Elternpaar Gedanken machen muss: Wer behandelt welches Kind wie? Wer darf welchem Kind was sagen? Behandeln wir alle gleich oder nicht?“ Dazu kommt der organisatorische Aufwand: „Die Kinder leben im Wechselmodell. Dadurch haben die Kinder zwei Wohnorte – und man muss schauen, wie man die einrichtet, auf welche Schule die Kinder gehen, wie man das Wechseln so unkompliziert wie möglich gestaltet“, sagt Aring-Tress.
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Was Patchworkfamilien stark macht:
Erprobte Strategien, wie das Zusammenleben gelingt
„Die erweiterte Familie ist meist groß, das Familienmanagement noch umfangreicher als in einer traditionellen Familienstruktur“, sagt auch die Psychologin und psychoanalytische Beraterin Susanne Westphal. Sie leitet die pro-familia-Beratungsstelle in Halle. Der größte Unterschied zur Kernfamilie ist ihrer Einschätzung nach der folgende: „Eltern, die ausschließlich mit gemeinsamen Kindern zusammenleben, erleben die Kinder von Geburt an und wachsen in das Familienleben hinein.
Es gibt ein mitunter problematisches, aber synchroneres Sich-aneinander-Gewöhnen und Hineinwachsen in die Familienrollen wie Mutter, Vater, Kind.“ Dagegen gebe es in Patchworkfamilien für alle Kinder eine dazugekommene erwachsene Person, die kein Elternteil ist. „Und alle Familienmitglieder haben schon Familien-, aber auch Trennungserfahrungen gemacht“, sagt Westphal.
„Damit gehen unbewusst oder bewusst bestimmte Erwartungen für bekannte Situationen mit einher. Auf Erwachsenenebene laufen parallel zum Start in die Patchworkleben oft noch Trauerprozesse oder juristische Auseinandersetzungen ab.“ Und: „Für Patchworkfamilien, die es noch nicht lange in so großer Zahl gibt, fehlen tradierte Vorbilder, die man übernehmen oder kritisieren kann“, sagt Westphal. „Stattdessen besteht verstärkt die Herausforderung, sich eigene Wege zu suchen.“
Die Kunst, nicht alles perfekt machen zu wollen:
Warum Patchworkeltern sich selbst nicht vergessen dürfen
Nadine Aring-Tress und ihrem Mann half es, sich an bestehenden Routinen zu orientieren und darauf aufzubauen: „Wir leben seit April 2018 in unserer Patchworkfamilie. Schon einige Monate zuvor lebten meine Kinder und die Tochter meines Mannes im Wechselmodell. Das haben wir beibehalten, sodass wir immer eine Woche alle Kinder und eine Woche lang keine Kinder haben. Das funktioniert mittlerweile seit über sieben Jahren.“
Darüber hinaus lag der Fokus immer auf dem Wohl der Kinder: „Wir wollten es natürlich gerne miteinander versuchen“, sagt die Magdeburgerin mit Blick auf die Bonus-Schwester. „Und zu unserem großen Glück lieben sich unsere beiden Töchter abgöttisch seit dem Moment, in dem sie sich zum ersten Mal gesehen haben.
Aber wir haben uns immer gesagt: Wenn seine Tochter nicht mit mir klarkommt oder meine Kinder mit ihm, oder wenn die Stiefgeschwister untereinander nicht zurechtkommen, dann beenden wir das.“ Und sie und ihr Mann waren sich einig, alles langsam anzugehen. Die Erwartungen zurückschrauben und sich Zeit lassen – beides trägt wohl einen großen Teil dazu bei, dass eine Patchworkfamilie Zukunft hat.
„Familien brauchen Zeit, um zusammenzuwachsen“, sagt auch die Psychologin Westphal von pro familia. „Normalität entsteht erst nach vielen Abläufen. Das gilt für jedes Elternpaar mit dem ersten Säugling, und für Patchworkfamilien nochmal mehr.“ Dafür brauche es viel Geduld und Kompromissbereitschaft. „Und die Patchwork-Eltern sollten sich darüber verständigen, welche gemeinsamen Vorstellungen sie haben, welche umsetzbar sind und wie“, sagt Westphal. Zudem rät sie, Abläufe gut zu organisieren und Regeln aufzustellen, die den Alltag für alle erleichtern.
Am Ende zählt das Gefühl: Wie aus fremden Menschen eine echte Familie wurde
Häufig ist die erweiterte Familie sehr groß: Schließlich gibt es neben der Patchworkfamilie noch die jeweils anderen Elternteile, bis zu vier Großeltern-Paare und weitere Verwandte. Entsprechend sollten Patchwork-Eltern gut mit den eigenen Ressourcen haushalten: „Es gilt, abzuwägen, was bedient werden kann“, sagt Westphal.
„Nicht alles muss gemeinsam gemacht werden. Und Eltern sollten gut zwischen den verschiedenen Bedürfnissen unterscheiden können.“ Etwa bei Feiertagen sollten sie sich darüber klarwerden, welche Bedürfnisse die Kinder haben und welche eigentlich eher die eigenen sind – und dann vielleicht selbst zurückstecken oder Kompromisse finden.
Wichtig sei es, gut für sich zu sorgen: „Das kann bedeuten, die vorangegangene Trennung zu verarbeiten, Hilfe von Familienmitgliedern, Freunden oder Beratungsstellen anzunehmen“, sagt Westphal. Auch sollten die Patchwork-Eltern darauf gefasst sein, dass Kinder ihrem Alter entsprechend um die kaputt gegangene Familie trauern: „Ab dem Kindergartenalter brauchen Kinder altersentsprechend Zeit zum Trauern“, sagt Westphal. „In der Pubertät entwickeln sich eher Loyalitätskonflikte.“
Ihr zufolge brauchen die Kinder wie auch die frischgebackenen Patchwork-Eltern Zeit und Energie, um in die neue Konstellation hineinzuwachsen. Gebe es bei den Kindern Probleme im Verhalten, bei Gefühlen oder in der Schule, sollten Eltern Verständnis zeigen. Dann stehen die Chancen gut, dass es ein Happy End gibt.
So wie bei Nadine Aring-Tress, die heute sagt: „Ich finde es unheimlich schön zu sehen und zu spüren, wie Menschen, die nicht biologisch verbunden sind, trotzdem eine Familie sein können. Das hat wirklich vier oder fünf Jahre gedauert, bis ich das auch gefühlt habe. Aber jetzt sind wir so verbunden miteinander, dass ich es mir gar nicht vorstellen kann, anders zu leben.“