Weltspieltag am 11. Juni Lernen ganz ohne Lernspielzeug? Warum freies Spielen für Kinder so wertvoll ist
Freies Spielen gilt als Schlüssel für gesunde Entwicklung – trotzdem bleibt im Alltag vieler Kinder kaum noch Platz dafür. Drei Fachleute erklären, warum genau das zum Problem werden kann und was Eltern dagegen tun können.

Nürnberg/dpa. Kinder lernen, wenn sie spielen. Diese Erkenntnis hat in den vergangenen Jahren einen neuen Trend befördert: In den Regalen der Spielwarengeschäfte finden sich immer mehr Spiele und Spielzeuge, die Kindern wertvolles Wissen vermitteln sollen, bei denen sie nebenbei eine Fremdsprache lernen oder sich als kleine Wissenschaftler fühlen können.
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Der Weltspieltag (11.6) hebt dagegen die Bedeutung des freien Spielens hervor. Was ist für Kinder wichtig? Drei Fachleute geben Antworten:
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Was Kinder beim freien Spielen wirklich lernen
«Spielen ist ein grundlegendes Bedürfnis von Kindern, und es ist enorm wichtig für ein gutes und gesundes Aufwachsen», sagt Anne-Charlotta Dehler vom Deutschen Kinderhilfswerk. «Wenn sie frei spielen, können sie ihren natürlichen Spieltrieb ausleben. Sie erkunden dadurch Stück für Stück ihre Umwelt. Sie verstehen Zusammenhänge und haben Spaß dabei.»
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Freies Spielen bedeutet, dass Kinder selbst entscheiden können, was, wie, mit wem und wo sie spielen wollen. «Das fördert die Persönlichkeitsentwicklung, die Kreativität und das soziale Miteinander», erläutert die Spielforscherin Wiebke Waburg von der Universität Koblenz. Kinder fänden heraus, was ihnen Spaß mache und was nicht. Im gemeinsamen Spiel mit anderen Kindern lernten sie, Regeln einzuhalten, Kompromisse auszuhandeln und Konflikte zu lösen.
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Warum Spielzeug manchmal im Weg steht
Wobei man sagen muss, dass freies Spiel zu 100 Prozent eher eine Utopie ist. «Trotz allem schaut man auf die Sicherheit der Kinder», merkt der Augsburger Sozialpädagoge und Spielforscher Volker Mehringer an. «In vielen Fällen sind Erwachsene anwesend oder zumindest in der Nähe, um eine gewisse Aufsicht über die Spielsituation zu haben.»
Zu wenig Zeit, zu wenig Raum – was Kindern fehlt
Eindeutige Studien für Deutschland oder Europa gibt es nach Angaben von Mehringer nicht. «In der Forschung gibt es aber zunehmend die Ansicht, dass Kinder tendenziell weniger Zeit zum Spielen haben und vor allem auch ein Stück weit weniger frei spielen.» Einen Grund dafür sieht der Experte von der Universität Augsburg darin, dass nach dem Pisa-Schock die frühkindliche Bildung im Kindergarten eine größere Rolle spielt und der Tag dort stärker strukturiert ist.
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Ganztagsschule, Hort, Musikunterricht, Sportverein, Nachhilfe - der Alltag vieler Kinder ist außerdem stark durchgetaktet. «Die Freiräume zum freien Spiel sind auf jeden Fall kleiner geworden», sagt Waburg.
Nach Ansicht des Kinderhilfswerks fehlt es Kindern nicht nur an Freiräumen, sondern zum Teil auch an geeigneten Plätzen fürs Spielen. «Städte werden nicht für Kinder gebaut, sondern werden vom Straßenverkehr dominiert. Dadurch haben Kinder wenig Möglichkeiten, draußen gefahrlos zu spielen, sich zu verabreden, zu toben», sagt Dehler.
Weltspieltag: Ein Recht auf Spiel für jedes Kind
Die UN-Kinderrechtskonvention besagt in Artikel 31, dass jedes Kind ein Recht auf Spiel, Freizeit und Erholung hat. Auf dieses fundamentale Recht wollen die Vereinten Nationen mit dem Weltspieltag am 11. Juni hinweisen. In Deutschland rufen das Deutsche Kinderhilfswerk und das Bündnis Recht auf Spiel zu vielen Aktionen rund um den Tag auf.
Helfen Wissens-Spielzeuge beim Lernen?
Dass Eltern gerne zu Spielzeug mit dem Label «pädagogisch wertvoll» greifen, kann die Expertin Waburg gut verstehen. «Es gibt einen gesellschaftlichen Trend, der die Verantwortung der Eltern für die erfolgreiche Persönlichkeitsentwicklung der Kinder viel mehr betont, als das in früheren Jahren der Fall war. Eltern wollen alles dafür tun, um ihren Kindern einen bestmöglichen Weg zu eröffnen - und das hängt stark vom schulischen Erfolg ab.»
Die Expertin meint aber: Wenn das Lernen zu sehr im Vordergrund stehe, gehe der eigentliche Zweck des Spielens verloren: der Spaß. Deshalb müsse man sich genau fragen: «Ist das noch Spielen? Oder ist das eigentlich ein Lernmittel?».
Mehringer ist außerdem skeptisch, ob Kinder überhaupt so große Lust haben, sich mit solchen Spielzeugen länger zu beschäftigen. «Kinder riechen ganz schnell Lunte bei solchen Spielsachen, wenn die zu sehr pädagogisch verzweckt sind.»
Brauchen Kinder Spielzeuge zum Spielen?
«Kinder brauchen Spielzeug nicht unbedingt», meint Waburg. «Das sieht man vor allem bei kleinen Kindern, die können mit allem spielen.» Ihnen reiche ein Küchenlöffel oder das Laub draußen. «Ich glaube aber, dass Spielzeuge aus dem Leben von Kindern heutzutage nicht mehr wegzudenken sind.»
Viele davon erfüllten aus spielpädagogischer Sicht wichtige Funktionen, ergänzt Waburg. Mit Puppen und Kuscheltieren könnten Kinder zum Beispiel lernen, sich um andere zu kümmern. Bausteine förderten die motorischen Fähigkeiten, sodass die Kinder immer geschickter beim Zusammenstecken werden könnten.
So können Eltern Freiräume schaffen
Lieber weniger. «Spielen per se ist enorm eng verknüpft mit Lernen und Entwicklung», sagt Mehringer. Deshalb sollten Eltern Kinder einfach mal spielen lassen. Oft sei es nicht so offensichtlich, dass die Kinder dabei etwas lernten.
«Aber wenn man sich damit ein bisschen auseinandersetzt und genauer beobachtet, was die Kinder da eigentlich tun, dann kann man ganz schnell viele wertvolle Lernprozesse erkennen.»