1. Startseite
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Familie
  6. >
  7. Hauswirtschaft schon in der Kita: Wie Kinder in Bad Kösen gesundes Kochen lernen

Hauswirtschaft schon in der Kita Wie Kinder in Bad Kösen gesundes Kochen lernen

Schnippeln, braten oder den Tisch decken: Die Initiative „Ich kann kochen!“ in der Kita Sonnenschein in Bad Kösen im Burgenlandkreis zeigt bereits den Kleinsten, wie wichtig gesunde Ernährung ist.

Von Helene Kilb Aktualisiert: 02.04.2024, 10:58
Ernährungsbildung hat viele Vorteile, und zwar schon für die Kleinsten: Sie kann zu Hause oder in der Betreuungseinrichtung stattfinden.
Ernährungsbildung hat viele Vorteile, und zwar schon für die Kleinsten: Sie kann zu Hause oder in der Betreuungseinrichtung stattfinden. (Foto: Imago/Westend 61)

Einmal im Monat gibt es in der Küche der Integrativen Kita Sonnenschein in Bad Kösen im Burgenlandkreis großes Gedränge. Dann wird geschält, geschnippelt und gerührt, was das Zeug hält: „Am liebsten würden immer alle Kinder mithelfen, auch wenn es so viel Arbeit natürlich nicht gibt“, sagt die Erzieherin Carola Kühne.

2017 hat sie als sogenannte Genussbotschafterin angefangen, ein regelmäßiges Koch-Angebot für Vier- bis Sechsjährige zu organisieren. Manche Zutaten wachsen sogar vor Ort: „In unserem Kindergarten haben wir einige Hochbeete“, sagt Kühne. „So essen die Kinder später Gemüse, das sie selbst gepflanzt, gepflegt, gegossen und geerntet haben.“

Das Angebot findet im Rahmen der Initiative „Ich kann kochen!“ der Sarah Wiener Stiftung und der Krankenkasse Barmer statt, die sich an Drei- bis Zehnjährige richtet. Das Ziel dabei: „Die Kinder sollen erfahren, wie vielseitig Lebensmittel sind, was sich aus frischen Zutaten alles zubereiten lässt und wie ein ausgewogenes Essen schmeckt“, erklärt die Erzieherin Kühne. Damit will die Initiative zwei zentralen Entwicklungen beim Thema Ernährung entgegenwirken: zum einen einer gewissen Entfremdung vom Essen, zum anderen der steigenden Zahl an übergewichtigen Kindern.

Wissen über Nahrung geht verloren

Beide Entwicklungen hängen miteinander zusammen und sind auch generell in unserer Gesellschaft zu beobachten. Die Ursachen kennt Hanna Büschleb von der Gründungsinitiative für den Ernährungsrat in Halle (Saale): „Das Wissen um Lebensmittel ist in unserer Gesellschaft teilweise verloren gegangen“, sagt Büschleb. „Das hat viel mit der Technisierung der Lebensmittelproduktion zu tun. Dadurch haben sich der Anbau, die Verarbeitung und das Haltbarmachen von Lebensmitteln von den privaten Haushalten in die Industrie verlagert.“

Sarah Wiener setzt sich mit der Initiative „Ich kann kochen!“ für gesunde Ernährung bei Kindern ein.
Sarah Wiener setzt sich mit der Initiative „Ich kann kochen!“ für gesunde Ernährung bei Kindern ein.
(Foto: picture alliance/dpa)

Verstärkt wird die Distanz zwischen Hersteller und Verbraucher auch von der Globalisierung. Viele Nahrungsmittel werden auf anderen Kontinenten hergestellt und nach Europa transportiert, wodurch nicht mehr nur regionales und saisonales Essen auf dem Teller landet. Natürlich bringe die Technisierung Vorteile mit sich, sagt Büschleb, aber eben auch viele soziale, ökologische und gesundheitliche Nachteile.

„So schwächt der globale Handel die regionalen Handelsstrukturen. Gleichzeitig akzeptieren wir mit unseren Kaufentscheidungen oft menschenunwürdige Arbeitsbedingungen wie zu geringe Löhne und schlechte Arbeitszeiten“, sagt Büschleb. Verbraucher verlieren bei der Vielfalt schnell den Überblick darüber, welche Obst- und Gemüsesorten eigentlich gerade Saison haben und welche es alternativ zur Importware vielleicht auch aus der Region gäbe.

Sinkende Wertschätzung für Lebensmittel

Und: „Dadurch, dass Lebensmittel nicht mehr wie früher mühsam selbst angebaut werden müssen, sondern jederzeit im Überfluss verfügbar sind, sinkt die Wertschätzung dafür“, sagt Büschleb – was wiederum eine Erklärung für Lebensmittelverschwendung ist: Im Durchschnitt wirft jeder Konsument in Deutschland 87 Kilogramm Lebensmittel pro Jahr weg.

Die gravierendsten Folgen hat die Technisierung aber vermutlich für die Gesundheit: „In der Industrie entstehen oft hochverarbeitete Produkte, die Salz, Zucker, gesättigte Fettsäuren und andere Zusätze in solchen Mengen enthalten, dass sie unserer Gesundheit nicht zuträglich sind“, sagt Büschleb.

Erzieherin und Genussbotschafterin Carola Kühne hat  2017 angefangen, ein regelmäßiges Koch-Angebot für Vier- bis Sechsjährige zu organisieren.
Erzieherin und Genussbotschafterin Carola Kühne hat 2017 angefangen, ein regelmäßiges Koch-Angebot für Vier- bis Sechsjährige zu organisieren.
(Foto: Andrea Hohenstern

Damit stellen industriell gefertigte Lebensmittel neben zu wenig Bewegung das größte Risiko für Übergewicht dar. Gerade dieses Thema betrifft Sachsen-Anhalt in besonderem Maße: Sechs von zehn Erwachsenen sind hier zu dick – damit hat Sachsen-Anhalt im Bundesländervergleich die höchste Quote an Übergewichtigen.

Auch viele Kinder kommen nicht mehr wirklich in Kontakt mit Lebensmitteln: In vielen Betreuungseinrichtungen wird das Essen angeliefert, sodass Kinder und Jugendliche es erst zu sehen bekommen, wenn es auf dem Teller liegt.

Auch kochen viele Familien nicht mehr regelmäßig frisch: Etwa aus dem repräsentativen Ernährungsreport 2023 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft geht hervor, dass nur in jedem zweiten Haushalt mit Kindern „so gut wie jeden Tag“ gekocht wird – und in etwa jedem zehnten seltener als einmal pro Woche oder „normalerweise gar nicht“.

Kinder bekommen große soziale Kompetenz

Insofern leistet ein Angebot wie das der Initiative „Ich kann kochen!“ einen wichtigen Beitrag zur Ernährungsbildung, und zwar schon von klein auf. „Die Kinder erhalten die Chance, ein gesundes und nachhaltiges Essverhalten zu erlernen“, sagt die Erzieherin Kühne aus Bad Kösen. Zumal es viele Bildungsbereiche abdeckt: „Die Kinder erweitern ihren Wortschatz und ihre Fertigkeiten“, sagt Kühne.

„Sie lernen die Unterschiede zwischen kochen, backen, braten und dünsten kennen und erfahren, dass gekochtes Gemüse anders schmeckt als rohes.“ Sie wissen, welches Küchengerät wofür benutzt wird und wie man Mengen abwiegt oder abmisst. „Und nebenbei fördern wir beim Kneten, Rühren, Schneiden, Raspeln und Schälen die Feinmotorik“, sagt Kühne.

Kinder erfahren, dass Kochen Teamarbeit ist und jeder seinen Beitrag leistet.“

Erzieherin und Genussbotschafterin Carola Kühne

Selbst wenn dabei etwas schief geht, wachsen die Kinder an ihren Aufgaben. „Klar schneidet sich auch mal ein Kind an einer Raspel“, sagt Kühne, „aber das sollte kein Hinderungsgrund sein.“ Anfangs sei sie selbst sehr ängstlich gewesen, „aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass man den Kindern durchaus etwas zutrauen kann und die Fähigkeiten und Fertigkeiten immer besser werden.“

Auch die soziale Komponente und Essen als kulturelles Erlebnis spielen eine wichtige Rolle: „Kinder erfahren, dass Kochen Teamarbeit ist und jeder seinen Beitrag zum Gelingen leistet“, sagt Kühne. „Und wer an einem Tag nicht direkt in der Küche helfen kann, deckt eben den Tisch, schön mit Tischdecke, Servietten und Blumen.“

Wie gut das Koch-Angebot bei den Kindern ankommt, sehen Kühne und ihre Kollegen nicht nur an deren Begeisterung – sondern auch beim Essen: „Das selbst zubereitete Essen schmeckt eben doch am besten. “

Von Rezept-Ideen und nachhaltiger Ernährung

Die Initiative „Ich kann kochen!“ der Sarah-Wiener-Stiftung und der Krankenkasse Barmer bildet pädagogische Fachkräfte kostenfrei zu sogenannten Genussbotschaftern aus. Auf der Website der Initiative für Familien finden Eltern zudem Rezepte, Hintergrundwissen und Tipps rund um das gemeinsame Kochen und Essen mit Kindern.

Sarah Wiener hat als TV-Köchin einen Namen gemacht. Lustvolles Kochen mit Kindern liegt ihr am Herzen.
Sarah Wiener hat als TV-Köchin einen Namen gemacht. Lustvolles Kochen mit Kindern liegt ihr am Herzen.
(Foto: Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild)

Das Ernährungssystem aktiv als Verbraucher um- und mitgestalten: So lautet das Ziel der Ernährungsräte. Dahinter stehen Initiativen aus Deutschland, Österreich, Italien, der Schweiz, Luxemburg und den Niederlanden, die sich als Netzwerk zusammengeschlossen haben.

Das Motto: „Ernährungsdemokratie Jetzt!“ In 45 Städten und Regionen arbeiten Ernährungsräte daran, die Versorgung regional, fair und ökologisch zu gestalten. In Mitteldeutschland gibt es derzeit zwei Ernährungsräte (Jena und Leipzig) sowie einen Ernährungsrat in Gründung (Halle). Ein weiteres Thema der Initiative ist außerdem bezahlbare und gesundheitsförderliche Speisen in Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas oder Seniorenheimen. Gefördert werden soll zudem die Biodiversität in der Landwirtschaft, die etwa vor Bodenerosion schützt und weniger synthetische Dünger notwendig macht.