Überzogene Erwartungen Familienstress an Feiertagen: Was jungen Erwachsenen hilft
Wenn an Weihnachten Erwartungen aufeinanderprallen, kann's schnell mal knallen. Was junge Erwachsene machen können, um Familienfrieden und eigene Bedürfnisse in Balance zu halten.

Berlin - Rund um die Weihnachtsfeiertage treffen in Deutschland vielerorts Familien zusammen - teils in ungewohnten Konstellationen. Und längst nicht überall und jederzeit verläuft das harmonisch. Gerade junge Erwachsene finden sich oft zwischen den Stühlen wieder: Sie werden bei den Eltern plötzlich wieder wie 13-Jährige behandelt, ihr Fleischverzicht wird kritisch beäugt, und die Technikhilfe nicht als angemessener Beitrag gewertet.
Nicht überraschend also, dass Hilfetelefone und Beratungschats in der Zeit häufig eine Zunahme der Anfragen zu Familienkonflikten wahrnehmen. So auch bei „Krisenchat“, einer digitalen Krisenhilfe, die sich speziell an junge Menschen unter 25 Jahren richtet. Fast jede vierte Beratung drehe sich zwischen 24. und 26. Dezember rund um Familienkonflikte, so die gemeinnützige Organisation mit Bezug auf interne Auswertungen.
Wenn der Erwartungsdruck die Stimmung killt
Auslöser für Reibereien gibt es viele. „Was wir beobachten: Die Konflikte entstehen paradoxerweise oft aus Liebe zu den Familienmitgliedern und dem Wunsch nach Nähe – aber dieser Wunsch wird zur Belastung, wenn er einseitig ist oder überladen mit Erwartungen ist“, sagt Juliane Pougin, Leiterin der psychosozialen Beratung bei Krisenchat.
Sie führt als Beispiel eine 16-Jährige an, die berichtet, dass ihre Mutter wochenlang das perfekte Geschenk gesucht hat und nun überschwängliche Dankbarkeit erwartet. Die Tochter mag das Geschenk, aber ihre authentische Reaktion wird als undankbar interpretiert.
Auch typisch: Die Familie denkt, sie zeigt mit Fragen nach Karriereplänen oder Beziehungen Interesse am Leben der Jugendlichen. Für junge Menschen hingegen, die vielleicht mit ihrer Identität oder Zukunftsängsten kämpfen, werde das Weihnachtsessen aber so zur Prüfungssituation.
„Mir ist alles zu viel“ - das darf auch mal sein
Wichtig ist es daher für Familien, mit realistischen Erwartungen an die Feiertage zu gehen. Grundsatz sollte sein: Gemeinsame Zeit ist wichtiger als ein makelloses Fest.
Auch Rückzugsräume für Jugendliche oder junge Erwachsene sowie offene Gespräche können dazu beitragen, dass die Stimmung im Lot bleibt. Den Wunsch nach Ruhe darf man durchaus klar kommunizieren. Statt aber einfach spontan zu verschwinden - was Eltern oft als Affront empfinden - empfiehlt Pougin jungen Erwachsenen zum Beispiel zu sagen: „Ich freue mich auf heute Abend mit euch. Vorher brauche ich eine Stunde für mich zum Runterkommen – ist das okay?“
Hilfreich sei es auch, Eltern in die Lösung einzubeziehen. Die Krisenchat-Expertin schlägt etwa eine Formulierung vor wie: „Mir wird es manchmal zu viel, aber ich möchte nicht, dass ihr euch zurückgewiesen fühlt. Können wir gemeinsam überlegen, wie das für uns alle funktioniert?“ Das verwandele Eltern von Gegnern in Verbündete.
Unter Umständen lässt sich mit einvernehmlichen „Tauschgeschäften“ mehr erreichen. So kann man zum Beispiel vorschlagen: „Ich organisiere die Geschenke-Liste und fahre Oma. Am 26.12. verbringe ich dann aber einen Abend mit Freundinnen.“
Wichtig: „Jugendliche müssen ihre Bedürfnisse nicht immer perfekt artikulieren können“, sagt Pougin. Manchmal reichte es auch zu sagen: „Ich weiß nicht genau, was los ist, aber mir wird alles gerade zu viel.“
Wenn es doch mal hitzig wird
Kommt es doch zu hitzigen Momenten, hilft oft erst mal Abstand. Am besten klappt das mit einer klaren Ankündigung: „Ich muss kurz raus.“ Aber: Das am besten ohne Türknallen und ohne letzte Worte.
Wenn Reden in der Familie gerade nicht funktioniert, können junge Erwachsene auch erst mal „extern Dampf ablassen“, rät die Expertin. Freundinnen anrufen, joggen gehen oder Unterstützungsangebote als Anlaufstelle nutzen.
Diverse Organisationen richten sich teils explizit an Jugendliche und junge Erwachsene und bieten auch an den Feiertagen Beratung - auch oder insbesondere per Chat oder Mail. Dazu gehören zum Beispiel:
- Krisenchat: https://www.krisenchat.de/
- Nummer gegen Kummer: https://www.nummergegenkummer.de/
- Telefonseelsorge: https://www.telefonseelsorge.de/
- Chatseelsorge (gefördert von der Evangelischen Kirche in Deutschland): https://www.chatseelsorge.de/