Hehres Sparziel 100.000 Euro: Ist das der Beginn der finanziellen Freiheit?
Die ersten 100.000 Euro gelten als wichtiger Meilenstein für den langfristigen Vermögensaufbau. Aber reicht das schon aus, um sich zur Ruhe zu setzen? Oder worauf kommt es nach Erreichen an?

München/Dortmund - Die ersten 100.000 Euro - kaum eine Zahl taucht in Investmentkreisen so oft auf wie diese. Für viele Privatanlegerinnen und -anleger gilt sie als magische Schwelle: Ist sie einmal erreicht, kann sie den Vermögensaufbau richtig ins Rollen bringen.
Doch warum ausgerechnet diese Summe? Welche Rolle spielt sie beim Investieren, und weshalb hat sie auch psychologisch eine so große Strahlkraft? In diesem Fragen-und-Antworten-Stück gehen wir genau diesen Punkten auf den Grund.
Warum gelten die ersten 100.000 Euro Vermögen als Meilenstein?
„Die ersten 100.000 Euro sind im Vermögensaufbau die größte Hürde, weil man dafür fast ausschließlich von seinem eigenen Spar- und Investitionsverhalten abhängig ist“, sagt Karsten Müller vom Vermögensverwalter „Das Wertehaus“. Darum sei diese Marke vor allem auch ein emotionaler Meilenstein, sagt Anika Albrecht von der Vermögensverwaltung Albrecht, Kitta und Co. Denn es zeigt, dass man gesteckte Ziele tatsächlich erreichen kann - zum Beispiel eben zum ersten Mal einen sechsstelligen Vermögensbetrag.
Doch auch mathematisch sei die Zahl kein Zufall. Denn ab 100.000 Euro entfalte der Zinseszinseffekt zum ersten Mal spürbare Wirkung. Wer diesen Betrag bei fünf Prozent Rendite im Jahr anlegt, sieht jedes Jahr im Schnitt 5.000 Euro Zuwachs - und zwar ganz ohne weiteres Zutun. Das Vermögen wird Albrecht zufolge also spürbar produktiv: „Vorher fühlt sich
Sparen oft mühsam an - viel Einsatz, wenig sichtbarer Effekt.“
Noch dazu können 100.000 Euro ein gutes Gefühl von Sicherheit vermitteln. Denn dieser Wert liegt weit über dem durchschnittlichen Jahresbruttoeinkommen in Deutschland. „Mit dieser finanziellen Pufferzone hat man in der Regel genug, um unvorhergesehene Ausgaben ohne Kredit abzufangen“, sagt Stefanie Dyballa von der KSW Vermögensverwaltung.
Wohin kann die Entwicklung dann mit etwas Geduld und einer guten Anlagestrategie noch gehen?
„Wer konsequent investiert, kann die Dynamik exponentiellen Wachstums nutzen“, sagt Karsten Müller. Bei breit gestreuter und auf mindestens zehn Jahre Dauer angelegter Aktienanlage sind zum Beispiel im Schnitt sieben Prozent Rendite pro Jahr drin. Auf diese Weise kann sich das Kapital alle zehn Jahre verdoppeln - sodass aus 100.000 Euro zehn Jahre später schon 200.000 Euro werden, 20 Jahre später rund 400.000 Euro und 30 Jahre später rund 800.000 Euro. Und zwar ganz ohne zusätzliche Einzahlungen.
„Wer parallel weiter spart - zum Beispiel 500 Euro pro Monat -, kann über Dekaden leicht die Million erreichen“, stellt Ortay Gelen vom Vermögensverwalter Axia Asset Management in Aussicht.
Wichtig ist Stefanie Dyballa zufolge dafür aber, dass die Erträge reinvestiert und nicht Jahr für Jahr entnommen werden, um auch wirklich vom Zinseszinseffekt zu profitieren. Denn nur so werden die jährlichen Erträge wieder und wieder verzinst. Gift sind auf dem weiteren Weg auch Umschichtungen und häufige Transaktionen des Vermögens, weil sie Gebühren kosten und Steuerforderungen auslösen können.
Kann man sich ab diesem Betrag also getrost zurücklehnen und von finanzieller Unabhängigkeit sprechen?
Dafür wäre es sicherlich zu früh. 100.000 Euro sind Ortay Gelen zufolge zwar eine solide Basis. „Aber alleine davon lässt sich keine finanzielle Freiheit erreichen.“ Denn wer das Kapital nicht aufzehren möchte, kann eben maximal die jährliche Rendite - von womöglich fünf bis sieben Prozent (5.000 bis 7.000 Euro) - abzüglich Steuern und gegebenenfalls Solidaritätszuschlag entnehmen. Davon bleiben im schlechtesten Fall nur noch etwa zwischen 3.600 und 5.040 Euro übrig - deutlich zu wenig, um die jährlichen Lebenshaltungskosten zu decken.
Wer das Kapital mit aufzehren kann und möchte, kann von diesem Betrag - je nach Lebensstil, sonstigen Einkünften und der Wohnsituation - Anika Albrecht zufolge vielleicht ein paar wenige Jahre leben. Dann ist aber schon bald nichts mehr da. Um bis ans Lebensende finanziell sorglos leben zu können, genügt das daher nicht. „Es gilt also, weiter konsequent dranzubleiben“, sagt sie.
Nur mal zum Vergleich: Wer das Geld - ohne weitere Einzahlungen oder Entnahmen - noch 20 Jahre bei einer angenommenen jährlichen Rendite von sieben Prozent pro Jahr arbeiten lässt, kann sich nach dem Beispiel oben bereits über 400.000 Euro Vermögen freuen. Angenommen, die Rendite läge ab diesem Zeitpunkt weiterhin bei 5 bis 7 Prozent, könnten Sparerinnen und Sparer schon zwischen 20.000 und 28.000 Euro pro Jahr entnehmen, ohne das Kapital aufzuzehren. Dann könnten sie - bereits um die aktuell maximal mögliche Abgabenlast von 27,99 Prozent bereinigt - Monat für Monat von 1.200 Euro bis 1.680 Euro leben, anstelle von 3.600 bis 5.040 Euro - pro Jahr.
In welchem Alter sollte ich den finanziellen Meilenstein von 100.000 Euro also erreicht haben, um spätestens zum Ruhestand hin sorgenfrei leben zu können?
„Das hängt stark vom Einkommen und Sparverhalten ab“, sagt Anika Albrecht. Sie gibt eine Faustregel mit auf den Weg: „Wer mit Mitte 30 diesen Betrag auf dem Konto oder Depot hat, liegt auf einem sehr soliden Kurs.“ Bis zum Alter von 40 Jahren sollte es idealerweise geschafft sein, damit noch genügend Zeit bis zum Ruhestand bleibt, in der der Zinseszinseffekt auf das Vermögen einwirken kann.
Eine Pauschalaussage zu treffen, wäre aber unseriös. Denn zum einen kann eine geringere Restlaufzeit mit höheren Sparraten wettgemacht werden, um später beim gleichen Vermögen zu landen. Zum anderen hängt das individuelle Sparziel ja auch immer davon ab, ob ich im Alter etwa im abbezahlten Eigenheim oder zur Miete wohne, wie hoch die Rente ausfällt, ob weitere Einkünfte fließen und mit welchen Ausgaben Monat für Monat zu rechnen ist. Wer aber früh beginnt, „hat einen massiven Vorteil, weil er weniger eigenes Kapital zur Zielerreichung einbringen muss“, sagt Ortay Gelen.
Wie kann ich das Ziel überhaupt erreichen?
„Die Erfolgsformel lautet: Früh anfangen, regelmäßig sparen, breit diversifiziert investieren und diszipliniert durchhalten“, sagt Karsten Müller. Wer etwa einen Sparplan einrichtet und so zum Beispiel 500 Euro pro Monat in einen weltweiten Aktien-ETF mit geringen Kosten investiert, kann die magische Marke bei sieben Prozent Rendite pro Jahr rechnerisch nach elf bis zwölf Jahren erreichen. „Mit 1.000 Euro monatlich verkürzt sich die Zeit auf sechs bis sieben Jahre“, sagt Müller.
Doch nicht jeder und jede kann einen solchen Betrag Monat für Monat aufwenden. Wer einen groben Anhaltspunkt benötigt und es sich leisten kann, sollte Ortay Gelen zufolge 10 bis 20 Prozent der monatlichen Einkünfte klug anlegen. Auch er rät zum Investment in kostengünstige und breit diversifizierte ETFs.