Leitungen von Versorgungsunternehmen auf dem Grundstück Für Nutzung kann Ausgleich eingefordert werden
Eine Überraschung erlebte Familie Pilsel aus Harbke im Juli. Das Amtsgericht Oschersleben teilte ihr mit, dass der Trink- und Abwasserverband Börde eine Eintragung in ihr Grundbuch hatte vornehmen lassen. Ein Widerspruch sei zwecklos, da mit einem Aushang und einem Artikel im Generalanzeiger darauf hingewiesen worden war.
"Die Abwasserleitung existiert seit DDR-Zeiten auf unserem Grundstück", heißt es in dem Brief der Pilsels an die Redaktion Leseranwalt, "und es ist selbstverständlich, dass der Wasserwirtschaft Zugang gewährt wird, wenn es nötig wird." Aber mit der Eintragung ins Grundbuch fühlen sie sich nicht wohl. Die beiden fragen, ob sie das einfach hinnehmen müssen.
Auskunft über die allgemeine rechtliche Situation zur Problematik erhielten wir vom Justizministerium Sachsen-Anhalt. "Die Unternehmen der DDR", so heißt es in dem Schreiben, "hatten nach dem für sie geltenden Recht erheblich weitergehende Möglichkeiten, Grundstücke für ihre Zwecke zu nutzen als Unternehmen nach bundesdeutschem Recht." So konnten Unternehmen auf dem Gebiet der DDR Grundstücke für ihre Zwecke bebauen, mit Leitungen überspannen oder anderweitig nutzen. Der Eigentümer musste dies dulden.
Eine dingliche Sicherung am Grundstück, also ein Eintrag ins Grundbuch, war nicht erforderlich. Der Betrieb von Leitungen der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung beispielsweise war durch die allgemein gültigen wasserrechtlichen Vorschriften der DDR abgesichert. "Im Einigungsvertrag von 1990 wurde geregelt, dass die Nutzungsrechte für die Inanspruchnahme privater Grundstücke bei öffentlichen Versorgungsleitungen bis zum 31. Dezember 2010 mit Verweis auf das DDR-Recht weiter bestehen", schreibt das Ministerium.
1993 hat der Gesetzgeber Regelungen geschaffen, nach denen Versorgungsunternehmen auch künftig die Möglichkeit haben, Leitungen für die öffentliche Versorgung auf privaten Grundstücken zu besitzen, zu betreiben, zu erhalten und zu erneuern. Grundlage sind das Grundbuchbereinigungsgesetz und die Sachenrechts-Durchführungsverordnung. Damit sind kraft des Gesetzes an den genutzten Grundstücken sogenannte "beschränkte persönliche Dienstbarkeiten" zu Gunsten der Versorgungsunternehmen im Umfang der Grundstücksnutzung entstanden.
Verfahren stellt Fakten rund um Nutzung fest
Das bedeutet, dass ein Unternehmen die gesetzliche Befugnis hat, ein Grundstück in einer bestimmten, einzelnen Beziehung zu nutzen. Die Eigentümer müssen demnach beispielsweise die freie Zufahrt zu einem Hochspannungsmast oder zu einer Abwasserleitung ermöglichen und Reparaturen zulassen. Die "beschränkte persönliche Dienstbarkeit" entstand ohne Grundbucheintrag.
Der Grundstückseigentümer musste nicht zustimmen und konnte das Entstehen auch nicht verhindern. Diese beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten gelten ohne zeitliche Befristung.
Allerdings müssen Eigentümer betroffener Grundstücke die Nutzung durch ein Versorgungsunternehmen nicht unentgeltlich hinnehmen. Nach dem Grundbuchbereinigungsgesetz sind Betreiber verpflichtet, einmalig einen Ausgleich für das Recht der "beschränkten persönlichen Dienstbarkeit" zu zahlen. Dieses Entgelt kann der Eigentümer beim Versorgungsunternehmen einfordern.
Dass die Versorgungsunternehmen bezüglich des Betriebs ihrer Anlagen auf Privatgrundstücken gesetzlich abgesichert sind, macht jedoch einen Grundbucheintrag nicht automatisch überflüssig. Denn einem Rechtsgrundsatz zufolge muss das Grundbuch zuverlässig über alle Rechte an Grundstücken Auskunft geben – also auch über die Nutzungsrechte von Versorgungsunternehmen.
Deshalb hat der Gesetzgeber ein Feststellungsverfahren geschaffen. Darin wird durch eine Verwaltungsbehörde festgestellt, ob ein Nutzungsrecht zu Gunsten eines Versorgungsunternehmens entstanden ist, welche Grundstücke in welchem Umfang von ihm betroffen sind, welchen genauen Inhalt diese Dienstbarkeit hat und wem sie zusteht. Diese Informationen zum Nutzungsrecht werden ins Grundbuch eingetragen.
Den Antrag auf Durchführung dieses Verfahrens muss das jeweilige Unternehmen bei der zuständigen Behörde stellen. Dieser ist dann in ortsüblicher Weise öffentlich bekanntzumachen. Diese Form wurde gewählt, weil die Eigentümer betroffener Grundstücke den Unternehmen vielfach nicht bekannt sind und eine direkte Ansprache damit nur schwer möglich ist.
Nach der öffentlichen Bekanntmachung kann innerhalb von vier Wochen Widerspruch eingelegt werden. Hat der Eigentümer rechtzeitig Widerspruch gegen das Nutzungsrecht erhoben, kann dieses nicht in das Grundbuch eingetragen werden. Es kann allerdings kraft Gesetz entstanden sein. Ein Streit darüber kann nur vor einem ordentlichen Gericht ausgetragen werden.
Verpasst ein Eigentümer die Frist, kann er die Eintragung der Dienstbarkeit zunächst nicht verhindern. Er muss dann ebenfalls den ordentlichen Rechtsweg beschreiten. Kommt es bei einem Grundstück zum Eigentümerwechsel, bleibt die Dienstbarkeit bestehen.
Familie Pilsel muss den Grundbucheintrag also hinnehmen. Sie will aber einen finanziellen Ausgleich beantragen.