Medizinischer Dienst Pflegebegutachtung steht an? So sind Sie gut vorbereitet
Eine Pflegebegutachtung ist ein wichtiger Termin: Schließlich hängt von ihm ab, ob man einen Pflegegrad bekommt - und entsprechende finanzielle Unterstützung. Was Sie dazu wissen müssen.

Bonn/Düsseldorf - Ein Sturz, ein Schlaganfall, ein Unfall: Manchmal ist Pflegebedürftigkeit von heute auf morgen da. Meist kommt sie aber schleichend: Betroffene oder ihre Angehörigen merken, dass immer mehr Unterstützung im Alltag nötig ist.
Dann ist ein guter Zeitpunkt, um einen Pflegegrad bei der Pflegekasse zu beantragen. Denn: „Nur wer einen Pflegegrad hat, bekommt von der Pflegekasse auch Leistungen“, sagt Ulrike Kempchen von der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (BIVA-Pflegeschutzbund) in Bonn. Welche Leistungen und in welchem Umfang, das hängt von der Höhe des Pflegegrades ab - es geht von 1 bis 5.
Ein Beispiel für so eine Leistung ist das Pflegegeld. Das bekommen alle mit Pflegegrad 2 bis 5, die sich dafür entscheiden, sich statt von einem ambulanten Pflegedienst von Angehörigen versorgen zu lassen. Die Höhe variiert je nach Pflegegrad und liegt zwischen 347 Euro und 990 Euro im Monat.
Der Pflegeantrag ist gestellt? Dann folgt im nächsten Schritt die Pflegebegutachtung - ein Termin, vor dem Betroffene oft ziemlich nervös sind. Die wichtigsten Fragen dazu:
Was ist eine Pflegebegutachtung?
Für die Pflegebegutachtung beauftragt die Pflegekasse den Medizinischen Dienst (MD) der Krankenkassen. Bei Privatversicherten ist es der Gutachterdienst Medicproof.
Dort arbeiten Pflegefachkräfte oder Ärztinnen und Ärzte, die zum Hausbesuch vorbeikommen. Ihre Aufgabe ist es, auszuloten, ob und in welchem Umfang die Person, die den Pflegeantrag gestellt hat, in ihrer Selbstständigkeit beeinträchtigt ist. Das entscheidet über die Einstufung in einen Pflegegrad.
Gutachterin oder Gutachter stehen dabei nicht plötzlich vor der Tür. „Die Fachleute kündigen ihr Kommen rechtzeitig an“, sagt Felizitas Bellendorf von der Verbraucherzentrale NRW in Düsseldorf.
Was macht der Gutachter oder die Gutachterin beim Hausbesuch?
Sie gehen mit den Betroffenen einen festgelegten Fragenkatalog (Begutachtungsassessment) mit 64 Fragen durch. „Damit wollen die Expertinnen und Experten herausfinden, inwieweit Betroffene körperlich, psychisch oder geistig eingeschränkt sind und welchen Unterstützungsbedarf sie in ihrem Alltag haben“, sagt Felizitas Bellendorf. Der Gutachter oder die Gutachterin vergibt abhängig vom Ergebnis der Fragen jeweils Punkte. Aus ihnen wird dann der Pflegegrad berechnet.
Was wird vom Gutachter oder von der Gutachterin genau geprüft?
„Die Fachleute nehmen sechs Lebensbereiche, auch Module genannt, ins Visier und erfassen dabei erkennbare körperliche, geistige und psychische Einschränkungen“, sagt Ulrike Kempchen.
Das sind dabei die sechs Bereiche, auf die es ankommt:
- Mobilität (Modul 1): Kann die Person etwa allein von einem Stuhl aufstehen, sich selbstständig im Liegen drehen, sich allein fortbewegen?
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten (Modul 2): Hier geht es darum, ob eine Person geistig in der Lage, etwas zu verstehen - und auch zu sprechen. Kann sie ihre Wünsche und Bedürfnisse verständlich äußern? Kann sie sich etwa selbstständig und dem Wetter angepasst anziehen?
- Verhalten und psychische Probleme (Modul 3): Ist die Person aggressiv, läuft sie ziellos herum? Beleidigt sie andere oder schlägt sie? Ist sie depressiv?
- Sich selbst versorgen (Modul 4): Ist die Person in der Lage, sich selbst zu versorgen – also etwa zu duschen oder zu essen?
- Umgang mit Krankheiten (Modul 5): Kann die Person ärztlich verordnete Maßnahmen, etwa das Einnehmen von Medikamenten, selbstständig umsetzen?
- Alltagsleben und soziale Kontakte (Modul 6): Kann die Person ihren Alltag selbstständig gestalten – etwa Einkäufe erledigen, Kontakte zu Bekannten und Nachbarn pflegen?
Wie kann man sich auf die Pflegebegutachtung vorbereiten?
„Man sollte sich im Vorfeld genau überlegen, wo genau man eingeschränkt ist und wobei man Hilfe braucht“, sagt Ulrike Kempchen. Hilfreich kann sein, vorab ein Pflegetagebuch zu führen, in dem man den tatsächlichen Pflegeaufwand im Alltag festhält. Vorlagen dafür gibt es im Internet.
Für eine erste Einschätzung, auf welchen Pflegegrad die Pflegebegutachtung hinauslaufen könnte, können Betroffene einen Rechner der Verbraucherzentralen nutzen.
Welche Unterlagen sollte man bereithalten?
Die eigenen Notizen bzw. das Pflegetagebuch sind hilfreich, das ist klar. Außerdem sollte man laut Felizitas Bellendorf folgende Unterlagen parat liegen haben, sofern vorhanden:
- aktuelle Arztbriefe
- Entlassungsbericht vom Krankenhaus beziehungsweise von der Reha-Einrichtung
- Pflegedokumentation (das gilt, wenn die Person bereits von einem ambulanten Pflegedienst versorgt wird)
- Medikamentenplan
- Schwerbehindertenausweis
- Liste mit genutzten Hilfsmitteln wie Hörgerät oder Rollator
Welche Rolle spielen Angehörige beim Begutachtungstermin?
„Bei der Pflegebegutachtung sollten unbedingt Angehörige dabei sein“, rät Ulrike Kempchen. Denn sie könnten oft klarer und sachlicher Auskunft über die Pflegebedürftigkeit geben als der oder die Betroffene selbst. „Hinzu kommt, dass der Patient oder die Patientin beim Begutachtungstermin oft aufgeregt ist“, sagt Felizitas Bellendorf. Da tut es gut, mindestens eine vertraute Person an seiner Seite zu wissen.
Was sind typische Fehler?
Manchmal kommt es zu einer fehlerhaften Selbsteinschätzung. „Betroffene versuchen nicht selten, aus Scham heraus sich so perfekt wie möglich darzustellen“, sagt Ulrike Kempchen. Dann wird womöglich verschwiegen, dass der Toilettengang ohne Hilfe nicht mehr klappt.
Andere wiederum neigten dazu, „den sterbenden Schwan zu mimen, obwohl dies nicht unbedingt den Tatsachen entspricht“, so Felizitas Bellendorf. Am besten bleibt man auf dem Mittelweg und schildert seine Situation ehrlich - und ohne falsche Scham.
Wie geht es nach dem Begutachtungstermin weiter?
Der Gutachter oder die Gutachterin erstellt auf Basis der Ergebnisse ein Gutachten, das an die Pflegekasse geht. Von der Pflegekasse kommt dann ein Bescheid, aus dem hervorgeht, ob und welcher Pflegegrad vorliegt und welche Leistungen bewilligt sind. Auf Wunsch erhalten Betroffene auch das Gutachten zugeschickt. „Von der Antragstellung bis zum Bescheid dauert es zumeist bis zu 25 Arbeitstage“, so Felizitas Bellendorf.
Gegen den Bescheid können Betroffene Widerspruch einlegen. „Dann erfolgt eine sogenannte Zweitbegutachtung durch eine andere Gutachterin oder durch einen anderen Gutachter“, sagt Ulrike Kempchen. Sind Betroffene auch mit dem Ergebnis des Zweitgutachtens nicht einverstanden, können sie Klage beim zuständigen Sozialgericht einreichen.