Konfliktthema Guck mal da! Was Eltern und Kinder über Medien lernen können
Warum motzen Eltern über Bildschirmzeit, obwohl sie selbst am Handy sind? Wo fängt Medienkompetenz an? Was hilft bei Streit? Wofür ist Gaming gut? Experten-Antworten auf Fragen von Mutter und Tochter.

Köln/München - „Noch eine Folge!“ – „Jetzt ist aber Schluss! Sonst muss ich das Handy wegnehmen“: Kaum ein Thema sorgt zu Hause so zuverlässig für Zoff wie die sogenannte Bildschirmzeit. Auch bei uns. Deswegen haben wir André Gatzke, der beim Fernsehen arbeitet und in der ARD unter anderem in der „Sendung mit der Maus“ zu sehen ist, gefragt und Maya Götz, sie ist Medienwissenschaftlerin und Medienpädagogin. Beide sind nicht nur Experten, sondern auch Eltern.
Warum motzen Eltern immer so viel, wenn Kinder am Tablet sind, gucken oder gamen?
„Eltern meckern oft nicht aus Bosheit, sondern vielmehr aus Sorge – weil sie wollen, dass ihre Kinder gesund aufwachsen, sich bewegen, gut schlafen und nicht zu viel fernsehen, vor allem Dinge, die sie vielleicht noch nicht verstehen“, erklärt ARD-Moderator André Gatzke. „Und ja, manchmal haben die Eltern recht, aber sie vergessen dabei oft, dass sie selbst auch ständig am Bildschirm hängen.“
Maya Götz vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen sagt: „Dass Kinder und Jugendliche sich auch mal ausruhen müssen, wie wir Erwachsene das tun und wie wir das als Kinder auch getan haben, das vergessen viele - und dass Kinder auch ein Recht dazu haben, einfach mal zu entspannen.“
Aber „es ist richtig und wichtig, dass ein Kind sich seine Freizeiten nimmt, um den Kopf auszuschütteln - wo es dann einfach relaxt vorm Bildschirm sitzt, einfach nur Spaß hat und lacht oder etwas spielt“.
Schadet Bildschirmzeit dem Gehirn? Was befürchten Eltern?
„Also immer, wenn es ein neues Medium gab, wurde davon ausgegangen, dass Kinder davon Schaden nehmen“, sagt Maya Götz. Doch genauso wie Bücher nicht per se verdummen, sei es auch etwa mit dem Fernsehen:
„Es gibt diverse Studien zu dem Thema, zum Beispiel aus den USA, die untersucht haben, inwiefern Fernsehkonsum und Schulabschluss zusammenhängen. Dort wurde gezeigt, wie vielsehende Kinder, und das bedeutete deutlich über fünf Stunden pro Tag im Grundschulalter, später die High School abgeschlossen haben. Und dabei zeigt sich: Die fünf Stunden machen nicht den Unterschied, sondern welche Programme sie gesehen haben. Und wenn sie etwa die Sesamstraße früher geschaut haben, schnitten sie sogar besser ab als der Durchschnitt. Das heißt, es kommt darauf an, was sie gucken.“
Aber wie finden wir „gute“ Inhalte - vor allem, wenn die Kinder das eine und die Eltern das andere gut finden?
Eine Frage, die sich viele Eltern stellen, wenn sie sehen, was bei den Kindern am liebsten auf dem Bildschirm kommt. Gut seien Inhalte, die die Alltagswelt der Kinder widerspiegeln, „auch die Probleme, die sie haben“, sagt Maya Götz.
Im Normalfall könne man sich bei Kinderfernsehen und Kinderfilmen darauf verlassen, dass die Inhalte dort in Ordnung sind, also Werte vermitteln und nicht zum traumatischen Erlebnis werden. Im ARD-Kinderprofil werden die Inhalte zudem direkt altersgerecht kuratiert und wachsen mit den Kindern mit.
Und dann kann man auch Kompromisse finden, sagt André Gatzke: „Wie bei einer gemeinsamen Pizza: Man sucht etwas aus, das beiden schmeckt. Also: reden, Vorschläge machen, abwechseln – und auch mal was Neues ausprobieren. Kompromisse muss man üben, und vielleicht ergibt sich auch so die Möglichkeit, noch andere passende Inhalte zu finden, die sogar für alle interessant sind.“
Was müssen Kinder lernen und Eltern wissen?
Medienkompetenz – ein großes Wort. Aber was heißt das konkret? Vor allem: Kinder und Jugendliche stark machen und schützen.
1. Ausschalten lernen: „Schon in dem Augenblick, wenn ein Kind ein Medium für sich entdeckt, den Fernseher oder was man mit dem Smartphone alles machen kann, ist das Entscheidendste, erst mal zu lernen, auszuschalten.“
Und das tut weh, „denn man hat sich da in der Fantasiewelt befunden und es ging einem gut - und jetzt soll das aufhören“. Dieser Moment müsse aber gelernt werden. Erst recht bei Serien, die im Streaming darauf angelegt sind, dass direkt die nächste Folge geguckt wird, und besonders bei Social Media und TikTok, „weil es keinen Endpunkt gibt, weil es immer weitergeht.“
Um eine Art Endpunkt zu setzen, kann man aber vielleicht eine Eieruhr stellen.
2. Auswählen lernen: „Der zweite Lernschritt ist inhaltlich: das Auswählen-Lernen. Also zu erkennen: Was tut mir gut? Was tut mir nicht gut?“, so Götz.
Vorschulkinder etwa verarbeiteten viel im Rollenspiel: „Die fangen dann an, mit ihren Teddybären oder mit Legosteinen etwas nachzuspielen, was sie gesehen haben.“ Dann könne man sie unterstützen, „dass sie noch mal erzählen können, wie es ihnen so ging und was man zukünftig machen könnte“.
Später gehört zum Auswählen dann auch, „dass man darüber ein bisschen verhandelt mit den Eltern. Auch das ist eine Kompetenz fürs Leben und wichtig, zu lernen.“
Dass Eltern ihre Kinder davor schützen können, mit bestimmten Inhalten konfrontiert zu werden, das funktioniert „nicht komplett“, sagt André Gatzke. „Aber man kann ihnen zeigen, wie sie mit Inhalten, die nicht für sie geeignet oder bestimmt sind, umgehen können – oder an wen sie sich wenden können, um sich gegebenenfalls Hilfe zu holen. Schutz heißt auch: stark machen, nicht nur verbieten.“
3. Hintergründe erkennen: Schon bei manchen Kindersendungen lohnt es sich, zusammen „darüber nachzudenken: Was ist der eigentliche Sinn? Wer steckt dahinter? Soll man möglichst lange gucken, geht es darum, Lizenzprodukte zu verkaufen?“, rät Maya Götz. Und das gilt natürlich auch für Spiele und Social Media.
Viele Eltern setzen Medienzeit-Limits oder nehmen die Geräte auch mal weg, das ist doch doof, oder?
Auch hier kommt es darauf an, dass man weiß, warum - und was Alternativen sind. Maya Götz erklärt: „Immer, wenn wir etwas begeistert machen, hat das Konsequenzen und kann dann auch schaden - man kann auch von viel Sport so wie ich kaputte Knie bekommen“, und daher ist es wichtig, dass man nicht nur das macht, sondern es auch einen Ausgleich gibt.
Können Regeln helfen? „Früher gab es immer die Regel: unter drei, keine Medien. Das kann beim ersten Kind klappen, beim zweiten ist man chancenfrei, weil man sie nicht einsperren kann. Man sagt immer: Pi mal Daumen pro Lebensjahr zehn Minuten mehr“, so Götz. „Also bei Dreijährigen maximal 30 Minuten, bei Sechsjährigen eine Stunde. Das kann ein bisschen bei der Orientierung helfen.“ Später sei auch das: Verhandlungssache.
„Gut ist immer ein attraktives Gegenangebot“, so Götz. Sie rät: „Einfach noch mal verdeutlichen, es gibt viele andere schöne Dinge ohne Medien, die man machen kann und dass Medien den Alltag bereichern sollen, aber ihn nicht bestimmen sollen.“
Wichtig sei, dass Kinder mitverhandeln dürfen: „Das ist eine Frage von Teilhabe und von Demokratie: zu verhandeln, und gleichzeitig zu wissen, Eltern haben letztendlich die Verantwortung.“
Das Gerät einfach wegzunehmen, helfe allenfalls „vielleicht kurzfristig“, so André Gatzke. „Langfristig hilft es mehr, feste Zeiten zu vereinbaren und Vertrauen aufzubauen. Wegsperren ersetzt keine gute Beziehung oder klare Regeln. Das geht sogar oft nach hinten los.“
Wie kann ich als Elternteil Vorbild sein - wenn ich selbst viel am Smartphone bin?
André Gatzke: „Ich finde sogar, dass ich zu viel Zeit mit digitalen Medien verbringe – den größten Teil allerdings berufsbedingt. Deshalb finde ich gemeinsame Regeln auch so wichtig. Zum Beispiel: kein Handy beim Essen. Oder nebenbei während einer Unterhaltung.“
Sein Tipp: „Wenn Eltern zeigen: "Ich bin gerade am Handy, weil ich etwas Wichtiges mache – und jetzt leg ich's weg", ist das schon ein gutes Vorbild. Es geht ums bewusste Medienverhalten, nicht ums Dauerverzichten.“
Und wie schlimm ist es, wenn ich dann doch mehr gucken oder zocken lasse, nicht nur, weil mich die Argumente überzeugen …?
„Es ist schön, dass wir Ideale haben, wie wir sein möchten - aber der Alltag ist doch ganz anders“, sagt Maya Götz. „Eltern haben so viele Herausforderungen. Dass sie an irgendeiner Stelle sagen: "Ich kann jetzt nicht mehr und ich gehe jetzt diesen Weg", ist auch in Ordnung. Ich muss nur wissen: Es hat Konsequenzen, und deswegen kommt es wiederum darauf an, was konsumiert wird und wie es auf die Kinder wirkt.“
Wie viel muss ich wissen, was mein Kind guckt? Oder mitgucken?
Alles mitgucken - das muss nicht sein, aber: „Gerade zum Anfang ist es wichtig, Bescheid zu wissen, damit man darüber reden und vielleicht auch was abfangen kann“, so Götz.
„Ab acht hat man kaum noch Chancen, alles mitzukriegen“, so die Medienpädagogin. Irgendwann fange es an und Kinder finden ihre Wege. „Aber wenn ich die Beziehung zum Kind aufrechterhalte, dass es mich fragen kann, dass es mir erzählen kann, dass es mir vorsehen kann, dann ist es auf jeden Fall was Gutes“, sagt Götz.
Und statt mit- oder zugucken rät Gatzke: „Zusammen gucken, spielen, reden. Wer mit seinen Kindern Medien nutzt, kann besser verstehen, was sie mögen und darüber ins Gespräch kommen. Gemeinsam statt gegeneinander bringt am meisten.“
Auch Maya Götz empfiehlt, zusammen zu schauen und dann zu überlegen: „Passt das zu meinen Werten? Was möchte ich vielleicht auch noch mal als Gegenposition reingeben? Man kann auch zusammen "Germany's Next Topmodel" schauen und sagen, was man toll und was man nicht so toll findet. Preteens und Jugendliche sagen dann gern "Mama, sei still, das gehört dazu" - aber trotzdem habe ich es gesagt und es ist da.“
Gatzkes Medienmacher-Tipp: „Nicht nur konsumieren, sondern auch mal selbst produzieren, gern zusammen als Familie! Foto-Projekt, Stop-Motion-Film, Podcast. Wer selbst gestaltet, denkt anders über Medien nach.“
(Wofür) Ist Gucken und Gamen vielleicht sogar gut?
Maya Götz: „In einer Zukunft, die von KI bestimmt sein wird, in der es kaum einen Beruf geben wird, in dem KI nicht irgendwie eine Rolle spielt, ist die gezielte Auseinandersetzung mit Medien, das Aneignen, vor allem die Selbstwirksamkeit entscheidend. Kinder wachsen heute in einer Welt auf, die zum großen Teil aus Digitalität besteht und bestehen wird. Das heißt, programmieren zu können, zu verstehen, ich mache A, dann B, dann kommt C raus: Das ist super, wenn ich das von Anfang an mitlerne.“
Das bedeutet für Eltern: „Man muss kein IT-Experte sein, aber neugierig und interessiert“, sagt André Gatzke. „Denn sonst wird man schneller überholt, als es einem lieb ist! Und im Endeffekt geht es weniger um Kontrolle, sondern vielmehr um Begleitung.“
Und wenn ich als Mutter vielleicht schon überholt worden bin und bei „Minecraft“ nicht mal schaffe, meine Gebäude wiederzufinden? „Dann ist es eine schöne Idee, sich das von der Tochter erklären zu lassen“, sagt Maya Götz. „Das ist Selbstwirksamkeit - weil sie wirklich mehr weiß.“
Wer sind die Experten:
André Gatzke ist TV-Reporter und -Moderator. Er moderiert bei WDR und Kika, unter anderem „Die Sendung mit dem Elefanten“ und „Wunderschön“. Auch er ist in diversen Sendungen in der ARD-Mediathek zu sehen und natürlich vor allem auch im Kinderbereich. Dort gibt es seit April die Möglichkeit, „mitwachsende“ Kinderprofile anzulegen - auch hier rät Gatzke, das „unbedingt zusammen“ einzurichten: „Dann weiß das Kind: Die Regeln sind kein Geheimnis, sondern eine faire Abmachung. Gemeinsam getroffene Vereinbarungen halten besser.“
Maya Götz ist Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) beim Bayerischen Rundfunk. Sie leitete über 200 empirische Studien und betreut pädagogisch die Medienkompetenzplattform von ARD, ZDF und Deutschlandradio SogehtMedien.