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Gemüse Im Mund wird's sauer

Der fruchtig-saure Geschmack von Rhabarber erinnert an den frühen Sommer. Ein Loblied auf das Gemüse.

Von Carolin Ostrowski 22.06.2018, 23:01

Magdeburg l „Herb-süß!“, meldet der Geschmackssinn an das Gehirn und plötzlich geht im Kopf ein Film los – eine Erinnerung aus der Kindheit hat den Weg in das Bewusstsein gefunden. Das funktioniert besonders gut, wenn das Aroma auf der Zunge einzigartig ist – wie bei Rhabarber. Es lässt uns an früher zurückdenken, als Kuchen backen mit Mama das Allergrößte war. Wer hat damals nicht ganz genau zugesehen, wie sie die Rhabarberstangen geschält hat? Vom tiefroten Ende immer weiter nach oben, bis die Stangen heller wurden. Faszinierend war es, zu beobachten, wie sich die langen Fasern wie Geschenkband kringelten.
Ein bisschen seltsam mutete Rhabarber damals aber auch an. Denn im Gegensatz zu Erdbeeren, die wir im Garten einfach so naschen durften, war das bei Rhabarber streng verboten. Warum eigentlich? „Der ist giftig“, lautete oft die knappe Erklärung. Als Kind ist es schwer zu verstehen, dass etwas, was doch giftig sein soll, im Kuchen plötzlich wunderbar erfrischend schmeckt.
Rhabarber gehört nicht zu den Diven unter den Pflanzen: Mehr als einen reichhaltigen Boden, genug Wasser und ausreichend Platz, um sich auszubreiten, braucht er zum Überleben nicht. Von Mai bis Ende Juni können die Stangen geerntet werden. Es sollten jedoch einige Stängel stehen bleiben, damit sich die Pflanze bis zum nächsten Jahr wieder erholen kann. Nach der Ernte hält sich Rhabarber in ein feuchtes Tuch eingewickelt im Kühlschrank einige Tage. Die wohl leckerste Variante der Zubereitung ist aber, ihn frisch geerntet zu herrlichen Konfitüren, Kompott, Kuchen oder Saft zu verarbeiten.
Besonders beliebt ist die Kombination von Rhabarber und Erdbeere in Marmeladen. Das Zusammenspiel aus der leckeren Süße der Erdbeere und der leicht säuerlichen Note des Rhabarbers macht den Geschmack so einzigartig, dass wir ihn heute wieder ganz genau auf der Zunge spüren, wenn wir uns an früher erinnern.
Obwohl Rhabarber in der Küche so behandelt wird wie Obst, zählt er botanisch zum Gemüse. Erst im 18. Jahrhundert kultivierten ihn die Europäer als Speisepflanze. Der lateinische Name Rheum Rhabarbarum (auf deutsch: fremde Wurzel) gibt einen Hinweis darauf, welchen Teil des Rhabarbers die Chinesen schon vor 4000 Jahren als Medizin verwendeten. Sie zerkleinerten die Wurzeln der Heilpflanze zu Brei und kurierten mit dem Extrakt Magen-Darm-Beschwerden und Zahnfleischentzündungen. Auch in der Kosmetik ist die Pflanze von Nutzen: Ähnlich wie Henna färbt sie die Haare rötlich.
Sogar im Theater spielt Rhabarber eine Rolle – aber nicht etwa als Requisite, sondern als Teil der Aufführung: In einem deutschen Theater verlangte ein Regisseur von den Schauspielern, etwas zu sagen, dass sich wie Gemurmel anhören sollte. Gleichzeitig bat er seinen Mitarbeiter um einen „Rhabarber“ (damit meinte er einen Magenbitter, wie ihn die Chinesen herstellten). Die Schauspieler verstanden das jedoch als Aufforderung und murmelten „Rhabarber, Rhabarber, Rhabarber“.
Bei der Ernte sollten Rhabarberstangen nicht mit einem Messer abgeschnitten, sondern mit der Hand rausgedreht werden. So kann die Pflanze schnell neu austreiben und der untere Teil des Stängels bleibt länger frisch. Beim Rhabarber verrät der Stängel viel über den Geschmack. Rote Stangen schmecken süßer und enthalten weniger Oxalsäure. Grüne Stangen haben ein herbes, säuerliches Aroma. Die bekannteste Sorte ist Holsteiner Blut: Sie ist besonders mild.
Der saure Geschmack rührt von der enthaltenen Oxalsäure her. Die Säure kann der Körper nur schwer verstoffwechseln. In den seltensten Fällen kann sie sich ablagern und Nieren- und Blasensteine verursachen. Aber: Oxalsäure ist nur in sehr hohen Konzentrationen (zwischen fünf und 15 Gramm pro 100 Gramm) giftig. Mit normalem Rhabarber-Verzehr lässt sich diese Menge nicht erreichen: 100 Gramm frischer Rhabarber enthalten nur 60 bis 500 Milligramm Oxalsäure. Abgesehen davon hält er aber nur gesunde Inhaltsstoffe bereit – darunter Kalium, Eisen, Phosphor und Vitamin C.
Die effektivste Methode, um den Säuregehalt zu vermindern: Den Rhabarber vor dem Verzehr blanchieren. Dafür: Die Stangen putzen, in Stücke schneiden und für eine Minute in sprudelnd kochendes Wasser geben. Danach ebenfalls für eine Minute in einer Schüssel mit Eiswasser abschrecken. Dieser Prozess mindert den Oxalsäuregehalt. Wenn frischer Rhabarber zum Backen oder Einkochen verwendet werden soll, ist das Blanchieren nicht nötig.
Vor dem Einfrieren sollte der Rhabarber jedoch gewaschen, blanchiert und geschnitten werden. Durch das Blanchieren behält er beim Einfrieren Form und Farbe. Dann kann er für bis zu sechs Monate in der Gefriertruhe aufbewahrt werden. Rhabarber-Kompott oder pürierter Rhabarber halten sich in der Gefriertruhe bis zu neun Monate und sind aufgetaut ein schneller und leckerer Begleiter zum Dessert.
Rhabarber kann auch einzeln oder mit anderen frischen oder getrockneten Früchten eingelegt werden. Je nachdem ob herzhaft oder süß, kann das Kompott mit Gewürzen und Essig oder weißem und braunem Zucker verfeinert werden. Nach dem Aufkochen in ein gut gereinigtes Glas füllen und mit Datum beschriften. Das Kompott sollte an einem dunklen, kalten Platz gelagert und nach dem Öffnen im Kühlschrank aufbewahrt werden.