Arbeitsrecht Verdacht reicht: Wann der Job auch ohne Beweis verloren geht
Auch ohne Beweis kann bei schwerem Verdacht das Arbeitsverhältnis enden. Welche Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung erfüllt sein müssen und was Beschäftigte dann tun können.

Hamburg/Frankfurt - Die Unschuldsvermutung ist ein fundamentaler Rechtsgrundsatz, der Europäischen Menschenrechtskonvention (Artikel sechs, Absatz zwei) verankert ist. Im Arbeitsrecht wird dieser Grundsatz jedoch durchbrochen: Arbeitgeber dürfen Beschäftigten bereits dann kündigen, wenn lediglich der Verdacht einer schweren Pflichtverletzung oder Straftat besteht – ein Beweis ist nicht erforderlich.
Der Hamburger Arbeitsrechtler Prof. Michael Fuhlrott nennt ein Beispiel: Bei einem Unternehmen kommt es in der Nachtschicht wiederholt zu Diebstählen von Edelmetallen. Das Unternehmen installiert Kameras, die allerdings keinen Diebstahl aufzeichnen. Der Beschäftigte X ist auffallend oft – das zeigen Kameraaufnahmen – im Lager in der Ecke, in der die Metalle gelagert sind. Danach geht er regelmäßig auf die Toilette oder in die Umkleide.
Ein Abgleich der Verluste mit der Schichtplanung ergibt über mehrere Monate, dass die Diebstähle immer dann auftreten, wenn X zur Nachtschicht eingeteilt ist. Bevor das Unternehmen in einer der nächsten Schichten X „stellen will“, sickert in der Belegschaft die Information der heimlichen Kameraüberwachung durch. Fortan gibt es keine Diebstähle mehr und X wird nicht überführt. Das Unternehmen spricht eine Verdachtskündigung aus. X streitet die Vorwürfe ab.
Was genau ist eine Verdachtskündigung?
Bei einer Verdachtskündigung handelt es sich um eine besondere Form der außerordentlichen Kündigung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB, Paragraph 626). „Anders als die sogenannte Tatkündigung beruht sie nicht auf dem Nachweis einer begangenen Pflichtverletzung, sondern auf den dringenden Verdacht einer schwerwiegenden Verfehlung durch den oder die Beschäftigten“, sagt Michael Fuhlrott.
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für eine Verdachtskündigung vorliegen?
Die Rechtsprechung lässt die Verdachtskündigung nur unter strengen Voraussetzungen zu. „Wenn ein Arbeitsverhältnis schon alleine aufgrund eines Verdachtes beendet werden soll, muss es dafür sehr gute Gründe geben“, sagt Till Bender von der DGB Rechtsschutz GmbH in Frankfurt/Main.
Ihm zufolge muss sich der Verdacht, auf den sich die Kündigung stützt, auf eine schwere Pflichtverletzung beziehen. „In der Praxis sind es meist Straftaten zulasten des Arbeitgebers oder anderer Beschäftigter“, so Bender. Zudem muss es eine hohe Wahrscheinlichkeit geben, dass der oder die zu kündigende Beschäftigte die Pflichtverletzung begangen hat. Hierfür müssen konkrete Tatsachen vorliegen, die einen Schluss auf die Pflichtverletzung zulassen. „Reine Vermutungen oder Unterstellungen reichen selbstverständlich nicht aus“, sagt Bender.
Weitere Punkte:
- Anhörung: Der Arbeitgeber muss den oder die Beschäftigte anhören, damit er oder sie sich zu den Vorwürfen äußern und den Verdacht entkräften kann. Das Gespräch ist ergebnisoffen zu führen. Das heißt: „Für den Arbeitnehmer darf nicht der Eindruck entstehen, es komme auf seine Einlassungen überhaupt nicht mehr an, weil die Kündigung ohnehin beschlossene Sache ist“, so Bender. Der oder die Beschäftigte kann ein Betriebsratsmitglied oder einen Anwalt zu dem Gespräch hinzuziehen.
- Verhältnismäßigkeit: Die Verdachtskündigung muss das letzte Mittel sein. „Mildere Maßnahmen wie etwa Abmahnung, Versetzung oder eine Weiterbeschäftigung unter Auflagen sind vorrangig zu prüfen“, sagt Michael Fuhlrott. Die Maßnahme muss in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Straftat stehen.
Ist die Verdachtskündigung nicht ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung?
Eine solche Auffassung greift laut Fuhlrott aus juristischer Sicht zu kurz. „Im Arbeitsrecht geht es nicht um die Sanktion von Fehlverhalten im strafrechtlichen Sinne, sondern um die Bewertung des für die Zukunft tragfähigen Vertrauensverhältnisses“, sagt der Hamburger Arbeitsrechtler. Auch ein nicht vollständig aufgeklärter, aber dringender Verdacht könne dieses Vertrauen nachhaltig zerstören und somit eine Verdachtskündigung rechtfertigen. Sie ist seit langem durch die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anerkannt.
Wie läuft das Verfahren ab?
Die Verdachtskündigung muss schriftlich erfolgen. Und wie bei jeder anderen Kündigung auch ist der Betriebsrat anzuhören, sofern ein solcher besteht. Im Falle einer ordentlichen Verdachtskündigung hat der Betriebsrat eine Woche, im Falle einer außerordentlichen Kündigung drei Tage Zeit, zur beabsichtigten Kündigung Stellung zu nehmen“, sagt Till Bender. Wird der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt, ist die Kündigung schon aus diesem Grund unwirksam.
Wie kann man sich gegen eine Verdachtskündigung wehren?
Wie gegen jede Kündigung kann man auch bei der Verdachtskündigung Kündigungsschutzklage erheben. „Diese muss innerhalb einer Frist von drei Wochen beim Arbeitsgericht eingehen“, sagt Bender. Nach Ablauf der Frist gilt die Kündigung ohne Klage als wirksam.
„Gerade bei einer Verdachtskündigung kommt es oft vor, dass Arbeitgeber mehrere Kündigungen aussprechen“, so Bender. Infrage kommen für denselben Pflichtverstoß eine fristlose und eine ordentliche Kündigung. Zudem kann der Arbeitgeber nicht nur wegen des Verdachts, sondern auch wegen der Tat selbst kündigen.
Das wären im Extremfall vier Kündigungen wegen desselben Pflichtverstoßes:
- fristlose Verdachtskündigung
- fristlose Tatkündigung
- ordentliche Verdachtskündigung
- ordentliche Tatkündigung
Die Kündigungsschutzklage muss sich dann auf jede einzelne Kündigung beziehen. Wenn der Arbeitnehmer hier auch nur eine vergisst, geht diese durch und die Kündigung gilt.
Welche Rolle spielt die Beweislast?
Die Beweislast liegt beim Arbeitgeber. „Der Arbeitgeber muss die objektiven Tatsachen, die den dringenden Verdacht begründen, konkret darlegen und im Streitfall beweisen“, sagt Michael Fuhlrott. Der Arbeitgeber steht in der Pflicht, vor dem Arbeitsgericht nachzuweisen, dass die Verdachtsmomente schwerwiegend und geeignet sind, das Vertrauensverhältnis zu zerstören. Und der Arbeitgeber muss nachweisen, dass er alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen und dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.