Verbraucherorganisation foodwatch belegt, dass spezielle Produkte oft zu süß und zu fettig sind Kalorienbomben: Lebensmittel für Kinder
Süßigkeiten, fette Happen, Zucker-Drinks - das bunt verpackte Angebot soll speziell Kinder verlocken. Von ausgewogener Ernährung keine Spur. Die Folge: Viele Kinder sind zu dick. Die Verbraucherorganisation Foodwatch schlägt Alarm.
Berlin (dpa) l Viel zu süß und viel zu fett: Kinderprodukte sind nach einer Studie der Verbraucherorganisation Foodwatch meist ungesunde Kalorienbomben. Von 1500 untersuchten Nahrungsmitteln, die speziell für Mädchen und Jungen angepriesen werden, seien fast drei Viertel "süße und fettige Snacks" gewesen, teilte Foodwatch gestern in Berlin zur Stichpobe mit. Demnach fallen knapp drei Viertel der 1514 untersuchten Produkte in die Kategorie der süßen und fettigen Snacks. Nur 12,4 Prozent der Produkte seien unbedenklich.
Raffinierte Werbung verführe zu dem die Kinder zum Konsum solcher dick machenden Happen und Softdrinks, hieß es. "Die Unternehmen tragen eine erhebliche Mitverantwortung für die grassierende Fehlernährung von Kindern", sagte Foodwatch-Mitarbeiterin Anne Markwardt. Sie forderte ein Werbeverbot für solche Kinderprodukte. Foodwatch zufolge lag das Werbebudget der Lebensmittelindustrie für Früchte und Gemüse im Jahr 2011 bei 7,3 Millionen Euro, der Topf für Schokolade, Süßwaren und Eiscreme war mit 722,8 Millionen Euro fast 100 Mal so groß.
15 Prozent aller Mädchen und Jungen sind zu dick
Die extra für Kinder angebotenen Lebensmittel gehörten zu denen, die nach Expertenempfehlung nur sparsam verzehrt werden sollten. Produkte, die man reichlich essen kann, wie verarbeitetes Obst, Nudeln oder Säfte, waren laut Foodwatch dagegen nur zu zwölf Prozent unter der Stichprobe. Damit entspreche die Produktpalette der Industrie für Kinder "ziemlich genau dem Gegenteil" der Empfehlungen.
Kinder verputzen laut Foodwatch nur die Hälfte der empfohlenen Menge an Obst und Gemüse. Aber sie ziehen sich über 200 Prozent der Menge an Süßwaren, Snacks und Soft Drinks rein, die sie höchstens konsumieren sollten. Die Folge dieser Fehlhernährung: Der Anteil übergewichtiger Kinder sei im Vergleich zu den 1980er und 1990er Jahren um 50 Prozent gestiegen. 15 Prozent der Kinder sind zu dick, sechs Prozent sogar fettleibig. Sie tragen ein erhöhtes Risiko für Krankheiten.
Markwardt hielt der Industrie ihr Interesse an besonders gewinnträchtigem Handeln vor. "Mit Obst und Gemüse lässt sich nur wenig Profit machen - mit Junkfood und Soft Drinks schon mehr."
Hersteller wollten Kinder zudem früh an ihre Marken binden und bei ihnen schon in jungen Jahren Geschmacksprägungen erreichen. Foodwatch warf auch dem Staat Versagen vor. Anstelle klarer Vorgaben für die Hersteller binde die Bundesregierung die Junkfood-Industrie in ihre Initiativen und Aktionspläne gegen Übergewicht ein, hieß es.
Mit Verboten für die Industrie will Foodwatch den ungesunden Trend stoppen: Unausgewogene Nahrungsmittel wie Süßigkeiten sollten nicht mehr als Kinderprodukte beworben werden. Produkte dürften auch nicht mit Comicfiguren oder Gewinnspielen gezielt für Kinder vermarktet werden. Gemeinsame Programme von Herstellern im Kampf gegen Übergewicht mit staatlichen Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten oder Sportverbänden seien zu beenden. Schulen und Kindergärten müssten werbefreie Räume sein.
Ministerium: Besondere Versantwortung der Wirtschaft
Das Bundesverbraucherministerium hält spezielle Lebensmittel für Kinder im Grunde für überflüssig. "Ein Kind, das den Geschmack von klebrigen Puddings oder künstlichen Süßspeisen gewohnt ist, kann richtige Obstsüße kaum noch wertschätzen", erklärte das Ministerium. Es appellierte an die "besondere Verantwortung" der Wirtschaft hinsichtlich der Werbung. In erster Linie komme es aber auf die Eltern an. "Ein Dreijähriger geht schließlich nicht selbst zum Einkaufen in den Supermarkt."
Die Grünen im Bundestag plädierten für ein "Verbot von Werbung, die sich an kleine Kinder richtet, anstatt zahnloser Selbstverpflichtungen der Industrie". Mit ihrer Werbung "unterlaufen die Lebensmittelkonzerne alle Bemühungen von Eltern, Pädagogen und Gesundheitskampagnen, Kinder für gesunde Ernährung zu begeistern".
Erst vor wenigen Tagen hatten UN-Experten eine Sondersteuer auf Chips, Soft Drinks wie Cola und jegliche Art von Junk Food gefordert. Das wäre eine der notwendigen Maßnahmen zur Überwindung der in reichen Staaten wie Deutschland verbreiteten ungesunden Ernährungsweise, hieß es in Genf.