Chile und Argentinien Auf Expeditionskreuzfahrt am Ende der Welt: Kap Hoorn ruft
Einmal im Leben durch die südlichen Gewässer Südamerikas: Fjorde, Pinguine, Berge mit Überzügen aus Eis. Die Natur ist großes Kino, doch an der Spitze des Kontinents ist alles eine Frage des Wetters.

Punta Arenas - Früh am Morgen. Kurz nach fünf. Die Spannung steigt. Es dämmert. Die See liegt tiefdunkel da. Schaum tanzt auf den Wogen. Hinter dem Fenster in der Kabine ist es behaglich. In der Ferne ziehen karge Felsenbuckel vorbei. Der Kopf wälzt Gedanken: Wird es Kapitän Omar Galindo vor das Kap Hoorn schaffen, damit wir in den stabilen Schlauchbooten an Land übersetzen?
Die Manöver sind knifflig. Sicherheit geht vor. Der Wind darf mit maximal 30 Knoten blasen. Nach einer gewöhnlichen Kreuzfahrt klingt das alles nicht, auch das Schiff deutet schon darauf hin: Wir sind unterwegs mit einem Expeditionskreuzfahrtschiff, die Passagierzahl ist auf 200 begrenzt. Es gibt weder Showtime noch WLAN, auch kein Telefonnetz.
Viertel vor sieben. Es wird ernst. Expeditionsleiter Francesco Ravilet, 34, fährt auf einem der Schlauchboote vor, um den Anleger in der Bucht zu prüfen. Grünes Licht!
Zügig verlassen die Schlauchboote das Schiff, schaukeln durch Wellentäler. Nach dem Ausstieg wartet eine steile Treppe durch Buschwerk. Ein Schild kündigt den chilenischen Nationalpark Kap Hoorn an. Stege führen zum Monument mit einem stilisierten Albatros, das an all die Schiffstragödien ums Kap erinnert, und zu einer Holzkapelle, daneben ein Leuchtturm. In der Tiefe donnert die Brandung gegen die Klippen. Die Morgensonne pinselt ihr Orange an den Horizont.
Größter Schiffsfriedhof der Welt
José Luis Luarte hält seit über zwei Jahren die Stellung am Ende der Welt. Der 40-jährige Marineoffizier lebt in der Einsamkeit mit seiner Familie neben dem Leuchtturm. Frau Pamela ist Rangerin im Nationalpark. Die Eltern unterrichten ihren achtjährigen Sohn Gael selbst. Die 14-jährige Tochter Sofía nimmt an Online-Klassen teil.
„Um ans Kap Hoorn zu kommen, mussten wir uns vorher alle den Blinddarm herausnehmen lassen“, verrät Luarte. Es gibt keinen Arzt in erreichbarer Nähe, für Notfälle einen Hubschrauberlandeplatz am Kap Hoorn. Durchgecheckt wird die Familie alle sechs Monate, wenn ein Schiff der Marine mit einem Arzt an Bord ankommt. „Immer dramatisch ist der Wind, der manchmal über 200 Kilometer pro Stunde erreicht. Dann müssen die Kinder drinnen bleiben“, sagt Luarte.
Stürme, Strömungen und Unglücke brachten dem Kap, einer der südlichsten Punkte Südamerikas, einen berüchtigten Ruf ein. Die Gewässer an der Naht von Atlantik und Pazifik, die bis zur Eröffnung des Panamakanals 1914 für die Handelsrouten so wichtig waren, gelten als größter Schiffsfriedhof der Welt. Über 800 Schiffe und 10.000 Menschen sollen in den Tod gerissen worden sein.
„Kap Hoorn treibt den Süßwassermatrosen ihren Dünkel aus und tunkt auch die Salzgewohnten in noch salzigere Lake. Wehe dem Neuling, dem Tollkühnen! Gott sei ihm gnädig!“, notierte der US-Schriftsteller Herman Melville (1819-1891), den der Roman „Moby Dick“ bekannt machte.
Plötzlich mahnt das Begleitteam zur Eile. Das Wetter droht umzuschlagen. Der Ozean ist deutlich aufgewühlter als bei der Hinfahrt. „Heute haben wir viel Glück gehabt“, sagt Kapitän Galindo, als wir zurück an Bord der „Ventus Australis“ sind. Der 35-Jährige hatte uns vom argentinischen Starthafen Ushuaia über Nacht knapp hundert Seemeilen südwärts zum Kap gebracht. Dort ist im Schnitt auf drei von vier Reisen der Ausstieg möglich. Eine Schönwettergarantie gibt es nicht am Ende der Welt.
Museum am Ende der Welt ehrt Indigen
Mit Galindo am Ruder bahnt sich das Expeditionskreuzfahrtschiff nun durch ruhigere Fahrwasser. Ein Patchwork aus Fjorden, Kanälen, Inseln, Bergen mit Eiskronen, Buchten und Gletschern, die an Meeresarme stoßen.
Die Bucht Wulaia war eine Zuflucht der indigenen Yamana, die im Feuerland-Archipel ein nomadisches, entbehrungsreiches Leben führten. Sie rieben ihre Körper mit Wal- und Seehundfett ein, schliefen in Kanus oder Zelten, die sie sich aus Zweigen bauten. Das Replikat eines Unterschlupfes sieht man beim Landgang - und ein Schild, das an die Ankunft des Briten Charles Darwin im Januar 1833 erinnert.
Der junge, damals unbekannte Naturforscher war mit dem Schiff „Beagle“ auf Weltreise. Über die Indigenen urteilte Darwin, es seien die „elendsten Geschöpfe, die ich irgendwo gesehen habe“ gewesen. Durch Genozid und eingeschleppte Krankheiten versetzten die europäischen Einwanderer den Ureinwohnern bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts quasi den Todesstoß.
In einem Haus hinter der Bucht ehrt ein Museum das Volk der Yamana. Dahinter zieht sich ein Weg über einen rauschenden Fluss hinauf zum Aussichtspunkt. Flechten gleichen Greisenbärten. Die Blätter der Südbuchen schimmern hellgrün.
Kalbende Gletscher und Demut
Die Natur ist ein dauerndes Schauspiel. Über dem Pía-Fjord drückt das Eisgrau des Himmels aufs Land. Felsabstürze nehmen Spiegelbäder. Kleine Wasserfälle kleben als Streifen im Grün. Fast unwirklich zieht sich der Pía-Gletscher wie ein heller Fortsatz der Wolken hinab. Er schickt seinen kühlen Atem herüber und ein Krachen, das die Luft zerreißt. Dreimal kalbt er. Die Frontwand wirft sich über hundert Meter hoch auf. Das Frostgebirge mit seinen Zacken, Spalten und Rissen macht sprachlos, demütig.
Im tiefsten Teil des Fjords versteckt sich der Gletscher Porter. Abermals geht es in die Beiboote. Sie manövrieren durch ein Eissplittermeer. Im Wasser treiben fragile Kristallfiguren: Sie erinnern an Enten, Schwäne, Rehköpfe. Die Fantasie läuft beim Anblick vielgestaltigen Schollen auf Hochtouren. Dann reißt der Himmel spektakulär auf.
Im Reich der niesenden Pinguine
Echte Tiere leben auf der Insel Magdalena, Schutzgebiet für Magellanpinguine. Abermals bringen uns Schlauchboote an Land. Ungelenk wackeln sie zu ihren Erdhöhlen, im Wasser sind sie pfeilschnell. Ein abgesperrter Pfad zieht sich über den rauen Höhenrücken bis zu einem weiteren Leuchtturm.
Was sich anhört, als wären sie verschnupft, stimmt nicht: Pinguine niesen Salz aus. Zwei Stunden später reißen uns Geräusche ins Altgewohnte zurück. Automotoren, Handyklingeln. Nach fünf Tagen auf See endet die Reise mit der Rückkehr in Punta Arenas. Die Spannung fällt ab. Was für immer bleibt, ist das Einmal-im-Leben-Abenteuer am Kap Hoorn.
Links, Tipps, Praktisches:
Reiseziel: Den Süden Südamerikas teilen sich Chile und Argentinien. Kap Hoorn und die Hafenstadt Punta Arenas gehören zu Chile, das am Beagle-Kanal gelegene Ushuaia ist Argentiniens südlichste Stadt.
Reisezeit: Saison für Expeditionskreuzfahrten von Ende September bis Anfang April.
Anreise: Internationale Flüge nach/ab Ushuaia über Buenos Aires, nach/ab Punta Arenas über Santiago de Chile.
Organisierte Reisen: Maßgeblicher Veranstalter ist die chilenische Reederei Australis; Route Ushuaia-Punta Arenas oder umgekehrt mit den Schiffen „Ventus Australis“ und „Stella Australis“, vier Nächte/fünf Tage. Extrakosten fallen für die Eintritte in die Nationalparks und die internationalen Flüge an. Andere Anbieter von Kreuzfahrten machen auf längeren Südamerika- oder Antarktis-Touren ebenfalls Station an Kap Hoorn, darunter Hapag-Lloyd Cruises und Princess Cruises. In Nordpatagonien steuert der Veranstalter Skorpios andere Fjorde und Gletscher an.
Weitere Infos: www.chile.travel; www.argentina.travel