Abgehobenes Outdoor-Abenteuer Bilderbuch-Bayern von oben – Landschafts-Kino der Extraklasse
Dass zum Fliegen nicht immer ein Flugzeug nötig ist, beweist das Paragliding im Chiemgau.

Was hier kommt, ist ziemlich abgehoben. Schweben über oft schneebedeckten Gipfeln, sattgrünen Almen mit winzigen Berghütten, vor denen winzige weißblaue Fahnen im oberbayerischen Wind flattern. Auf deren Terrassen winzige Wanderer winzige Biere wegzischen und winzige Brotscheiben mit leckerem Obatzten verdrücken. Alles eine Frage dieser ganz besonderen Perspektive. Irgendwann im Leben kommt bei so ziemlich jedem der Punkt der Entscheidung: Fliegen? Jetzt!
In einem entspannten wie leichtfertigen Urlaubsmoment habe ich mich fürs Paragleiten entschieden. Tandem-Version. Einen Handy-Anruf (die Nummer stand auf einem Prospekt in unserer Pension) später war die Sache klar: Pilot Flo hatte, nachdem ich seinen Standard-Fragenkatalog (wie groß, wie schwer usw.) beantwortet hatte, gleich für den Nachmittag den Standort bekanntgegeben: Talstation der Hochfelln-Bahn in Bergen im lauschigen Chiemgau. Solide Wanderschuhe, winddichte Jacke - das war mein Part. Flo kam mit zwei großen Rucksäcken, die Gondel schaffte uns zum Gipfel.
Helm, Handy - und den Selfiestick
Nächster Schritt: Alles ausrollen und auf der abschüssigen Wiese planvoll (den Plan hatte Flo) auslegen. Den Tandem-Sitz mit Gurtzeug und Karabinerhaken, den 38 Quadratmeter großen Schirm, die Steuer-Leinen. Und natürlich Helm, Handy und den Selfiestick für möglichst coole Handyfotos. „Ich zähle bis drei“, sagte Flo. „Dann läufst Du los.“
Wiese bergab, direkt auf den Abgrund zu. Dahinter geht es viele hundert Meter steil in die Tiefe. Kurz davor, also vor dem Abgrund, zieht uns ein leichter Ruck nach oben. Wir fliegen.
Über mir der Schirm, hinter mir Pilot Flo, unter uns der Wahnsinn. Von hier oben hörst, siehst und riechst du alles viel klarer. Kühe auf der Alm bimmeln mit der Kirche im Tal um die Wette. Der hellblaue Bayern-Himmel will das dunklere Blau des Chiemsees am Horizont optisch irgendwie übertreffen, dabei ergänzen sich die Farben aufs Feinste. Der Duft des Heus, das der Traktor im Tal gerade wendet, steigt würzig bis hier herauf. Flos Höhenmesser piept. „Das bedeutet Aufwind“, sagt der Tandemflug-Experte. Die Sonnenwärme wird von den Felswänden reflektiert, die so aufgeheizte Luft steigt nach oben. Wir steigen mit. Schon mehr als 2.000 Meter, sagt der Höhenmesser. Greifvögel kreisen mit uns.
Hobby wurde zum Zweitjob
Flo, der eigentlich Florian Schroll heißt, ist von Beruf Elektroingenieur, hat sein Hobby zum Zweitjob gemacht. „Klar haben die Leute beim ersten Mal manchmal Angst, aber spätestens in der Luft ist das verflogen“, sagt er. Es ist ein bisschen auch die Kunst des erfahrenen Tandempiloten, seinen Fluggästen ihre Furcht zu nehmen.
Dauer-Job des Piloten ist die Wetterbeobachtung: An Wolken, Wind lässt sich die künftige Flugbahn berechnen. Auch mit dem Ziel, an der vorgesehenen Stelle zu landen, in unserem Fall auf der großen Wiese nahe der Bergbahn-Talstation. Auch, um mit der ganzen Ausrüstung später nicht so weit zurück zum Auto laufen zu müssen.
Sanfte Landung auf dem Allerwertesten, Ausrüstung einsammeln und verstauen. Flo hat in seinem Auto seine Kühlbox mit dem standardmäßigen Lande-Bier einer regionalen Brauerei. So geht ein perfekter Tag. Macht Lust auf den nächsten Paragliding-Ausflug.Axel Ehrlich

Tandemfliegen ist prinzipiell zu jeder Jahreszeit möglich, ist es kälter, braucht man dickere Kleidung, z.B. einen Skianzug. Der Pilot kennt die Wetterverhältnisse vor Ort und entscheidet, ob und wann es an einem bestimmten Tag in die Luft geht.
Gut zu wissen
Kosten für einen Basis-Tandemflug (ca. 20 Minuten) ab 149 Euro p.P., nach Belieben gegen Aufpreis verlängerbar. Seilbahn-Ticket geht extra. Infos und Buchung unter chiemgau-tandemflug.de.