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Entdeckung der Langsamkeit Schildkröten-Wettrennen im Sudan

Schildkröten gelten als Inbegriff der Langsamkeit. Im Sudan dagegen haben sie gute Chancen, zum Rennpferd des kleinen Mannes zu werden. Die Bevölkerung eines Landes, die nach jahrelanger Repression nun ihre neuen Freiheiten antestet, entdeckt ihre kreativen Seiten.

Von Hipa Salih und Ralf E. Krüger, dpa 01.01.2020, 16:13

Khartum (dpa) - Die Welt der sportlichen Wettbewerbe ist dank der sudanesischen Tierärztin Nun Mahdschub um eine kuriose Disziplin reicher. Die 27-Jährige sieht sich selbst als Erfinderin der in ihrer Heimat aufkommenden Schildkrötenrennen.

"Mich haben mehrere Gründe zur Organisierung dieser Schildkrötenrennen veranlasst", sagt sie vor dem Nationalmuseum in der Hauptstadt Khartum, wo gerade die Rennschildkröte "Dargot" ihrer Eigentümerin eine Trophäe sowie ein kleines Preisgeld von 1000 sudanesischen Pfund (10 Euro) einbrachte. Über die Distanz von 2,50 Metern ließ sie ihre 35 Mitbewerber weit hinter sich, als sie schon nach 33 Sekunden über die Ziellinie kroch.

"Es handelt sich um unterdrückte Tiere, die stets mit Langsamkeit in Verbindung gebracht werden; diese Ungerechtigkeit ist das Ergebnis von Geschwindigkeitsvergleichen mit Tieren aus völlig anderen Gattungen", begründet Mahdschub ihre Idee. Die relativ hohe Anzahl von rund 300 Zuschauern - Männer, Frauen, Kinder - bei der Premiere in Khartums Museumsgarten Ende November überrascht aber auch sie. Begeistert feuern sie die mit Nummern auf dem Panzer versehenen Tiere an. Die Eigentümer der Rennschildkröten locken ihre Lieblinge im Ziel mit deren Lieblingsspeisen - beim Ertönen des Startsignals per Trillerpfeife sind aber auch leichte Stupser zum Kick-Start erlaubt.

Der kleine Abdel Rahman etwa gehört zu den begeisterten Zuschauern - er schickt seine "Tortilla" ins Rennen. Der Dreijährige galt nach Angaben seiner Mutter als introvertiert, bis er die Leidenschaft fürs Schildkrötenrennen entdeckte. Jetzt wirkt er wie ausgewechselt.

Die neue Leidenschaft für Zerstreuung aller Art bricht sich im Sudan Bahn, seit die Übergangsregierung die an den islamischen Rechtsvorschriften der Scharia orientierten strengen Gesetze von Langzeitherrscher Omar al-Baschir aufbricht. Sie regelten seit den 1990er Jahren etwa Kleidervorschriften oder auch Alkoholverbote. Al-Baschir hatte den Sudan fast 30 Jahre lang mit harter Hand regiert, bevor er unter dem Druck monatelanger Massenproste im April von der Armee abgesetzt worden war. Im Juli einigten sich dann das Militär und die zivile Opposition auf eine Übergangsregierung. Nun werden viele alte Zöpfe abgeschnitten und neue Freiheiten angetestet.

Das Schildkrötenrennen gehört dazu. Es soll nach dem Erfolg der Premiere nun häufiger stattfinden. In einem Land, in dem es nur wenig Freizeitmöglichkeiten gibt, steht Sport egal welcher Art ganz oben. Denn für die wenigen Konzerte, die es gibt, reicht bei vielen oft nicht das Geld, um sich die Eintrittskarten leisten zu können - die wirtschaftliche Lage im Lande ist nach wie vor durchwachsen.

Tierärztin Mahdschub, die 2018 eine Schildkrötenzucht begann und gleichzeitig einen lukrativen Handel damit startete, versteht die Rennen auch als Chance, um über Gewohnheiten und Besonderheiten dieser Tiere zu informieren. Viele ihrer Kunden sind Mütter auf der Suche nach interessanten Geschenken für ihren Nachwuchs, den sie damit von TV-Geräten und Computern wegzulocken hoffen.

Auch die Biologielehrer Mohammed Hamdin und Nasrallah al-Kasim setzen auf den pädagogischen Effekt der Schildkrötenrennen, die in einem Land wie dem Sudan auch unterhaltsamen Charakter haben. Denn der Zoo der Stadt wurde in den 1990er Jahren geschlossen. Für viele Kinder stellen Schildkröten als Haustiere daher auch eine Art Anschauungsunterricht dar. "Durch solche Rennen kann man das Bewusstsein von Kindern und Erwachsenen dafür erweitern, dass es außer uns Menschen auch noch andere auf diesem Planeten gibt", sagt etwa der Vater der vierjährigen Anne.

Saba Siddiq
Saba Siddiq
dpa
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dpa