Interview mit der Expertin Andrea Schulz Schüler können trotz Lernschwäche Erfolg haben
Seit ihrer Promotion zum Thema Dyskalkulie beschäftigt sich die Berlinerin Andrea Schulz mit Lernschwächen. Jetzt hat sie 60 Magdeburger Grundschullehrern erklärt, welche Fehler im Umgang mit Lernschwächen gemacht werden. Redakteur Hagen Eichler fragte nach.
Volksstimme: Frau Schulz, woran liegt es, wenn manche Grundschüler beim Rechnen überhaupt keinen Fortschritt machen?
Andrea Schulz: In 90 Prozent aller Fälle ist einfach die Orientierungsfähigkeit noch nicht ausreichend entwickelt. Sie sind nicht zu dumm oder zu faul. Es sind Kinder, denen es schwerfällt, rechts und links zu unterscheiden, eine Richtung anzugeben, auf die Position von Dingen im Raum zu achten oder sich eine Zahl vorzustellen. Wer in der ersten Klasse noch nicht so weit ist, kann Rechenergebnisse allenfalls auswendig lernen. Er hat aber keine Chance mehr, später hinterherzukommen, weil in Mathematik alles aufeinander aufbaut.
Volksstimme: Müsste die Schule das nicht erkennen und durch Förderung ausgleichen?
Schulz: Viele Lehrer haben in ihrer Ausbildung wenig über Rechenschwäche gehört. Ihnen fehlt auch die Möglichkeit, sich so intensiv einem einzelnen Schüler zu widmen. Kinder mit dieser Schwäche hören ja auch nicht auf, mitzumachen. Aber wenn sie den richtigen Weg für eine Rechenaufgabe nicht verstehen, denken sie sich irgendetwas aus und prägen sich das ein.
Volksstimme: Was sind die Ursachen dieser fehlenden Orientierung?
Schulz: Oft sind es Entwicklungsverzögerungen, manchmal sind Krankheiten im frühen Kindesalter der Grund. Ein Kind konnte vielleicht nicht richtig krabbeln, nicht richtig sehen oder hören. Eltern können solche Defizite aber erkennen. Wenn ein Kind noch in der vierten Klasse die Uhr nicht lesen kann oder kein Taschengeld will, weil es damit nichts anfangen kann, sind das Hinweise. Diese Schwäche lässt sich therapieren. Es gibt jedenfalls kein Mathematik-Gen, das das eine Kind hat und das andere eben nicht.