Nach dem Absturz des Germanwings-Airbus in Frankreich verwies ich in meiner Kolumne auf das Spannungsverhältnis zwischen dem journalistischen Auftrag einer umfassenden, detaillierten Information und der Verantwortung der Presse für den besonderen Schutz der Opfer und von deren Angehörigen. Dass ich Verständnis dafür äußerte, dass die Leser möglichst jedes Detail über das dramatische Geschehen wissen wollten, brachte mir den Vorwurf eines Lesers ein, einem „Voyeur-Journalismus“ das Wort zu reden – was nicht an dem ist und in dieser Zeitung auch nicht so gehalten wurde.
Eine erste Analyse des Munich Digital Institute belegt laut dem Medien-Portal „Meedia“ nun, „wie selbstbestimmt und sensationsheischend die Leser mit der Katastrophe umgegangen sind“. Die Menschen suchten im Vergleich zum Amoklauf von Winnenden deutlich häufiger im Internet direkt nach Informationen.
Sie surften nicht mehr nur ein News-Portal an, sondern recherchierten aktiv nach weiteren Berichten, geht aus der Studie hervor. Und es gebe einen „Personalisierungstrend“. „Denn sobald am 26. März erstmals der Name des Co-Piloten veröffentlicht wurde, sei im Netz ein mehr als doppelt so großes Interesse am Namen entflammt, als am Absturz selbst.“ Die Münchner Untersuchung stellt auch fest, dass die Menschen, obgleich sie mittlerweile selbst nach Informationen suchten und ein immenses Interesse an den menschlichen Aspekten einer Katastrophe hätten, „es den Medien dann jedoch wiederum übelnehmen, wenn sie genau dieses Interesse befriedigen“.
Die Autoren der Studie meinen: „Nicht zuletzt wirkt die wellenartige Webkritik ein wenig so, als würde man für die Unfassbarkeit des Ereignisses in Ventil suchen – und dieses Ventil in einer harschen Medienkritik finden.“ Es ist exakt dieser Widerspruch zwischen dem Informationsbedürfnis der Leser auf der einen und ihrer Kritik an der Berichterstattung auf der anderen Seite, der uns als Journalisten vor die Herausforderung stellt, das richtige Maß zu fi nden.